Doris Pieper schrieb am 08.02.02 in der Zeitung "Die Glocke"

Poet, Prophet, Possenreißer ? und umgekehrt



Gütersloh (gl).
"Die Wahrheit", sagt Herman van Veen, "ist viel besser zu ertragen, wenn sie klingt." Deshalb singt er ? seit über 30 Jahren. Längst ist der widerborstige Haarkranz angegraut, sind die (Lach)Fältchen um die großen blauen Kulleraugen des 56?Jährigen zu erwachsenen Falten geworden. Doch was er singt, ist zeitlos, unerbittlich sanftmütig, furchterregend zärtlich und entsetzlich heiter. Der Poet als Prophet, als Possenreißer ? und umgekehrt. Van Veen lässt sich nicht festlegen. Auch das seit über 30 Jahren.


Wer bei seinem umjubelten Auftritt am Mittwochabend in der Gütersloher Stadthalle auf lieb gewordene Erinnerungen aus der Plattenkiste der 70er und 80er Jahre gehofft hatte, wurde wieder einmal angenehm überrascht. Nichts als jungfräuliche, noch nicht einmal auf CD erhält liehe Lieder sang der Mann, der immer so klingt, als rutsche ihm gerade ein Klumpen Käse durch die Kehle. Mit etwas Tristesse in der volltönenden Stimme und einem Hauch von Spott im abschätzenden Blick schmettert er sein "Kyrie Eleison" für "unsere Seelen, die zum Teufel gehen."

Liebeslieder nennt er ungeniert alles, was er da singt, egal ob es der Abgesang auf Nietzsches Nihilismus ist oder eine nostalgische Reverenz an das Amsterdamer Flussviertel seiner Jugend, ob es sich um sein Bekenntnis zur magersüchtigen ersten Liebe oder um sein augenzwinkerndes, im zünftigen Zulu-Rhythmus getrommeltes Geständnis "Hab' meine Socken vergessen" handelt. Dieser Musik machende Moralist spielt mit, hohem Einsatz, zeigt kühl kalkuliert Ein? und Weit?, Vor? und Nachsicht. Ein Clown, der sich nicht zum Narren macht, egal wie albern er ist. Selbst mit einer, Unterhose auf dem Kopf ? wenn er singt, ist es die Wahrheit, die da klingt. Und sie klingt ausgesprochen gut.

Nicht von ungefähr hat van Veen seinen alten Weggefährten Erik van der Wurff am Piano dabei, setzt er zudem auf ein ausgezeichnetes Damentrio: Edith Leerkes an der Gitarre, "Jann" an der Geige und Wieke Garcia als Percussionistin, Bezähmerin eines galizisches Dudelsacks und einer mittelalterlichen Drehleier. Sie teilen van Veens Anspruch auf Anspruch und wohl auch seine Art von Humor. Herrlich, seine Ein?Personen?Oper, in der die Diva, statt nach tödlichem Stich zu sterben, noch stundenlang singt und der Tenor Selbstmord begeht, in dem er sich aus seinem Ego in seinen IQ stürzt. Es darf gedacht werden.

"Ich singe ohne Bedeutung, nur von Wort zu Wort", wehrt Herman van Veen bescheiden und unpolitisch ab. Er weiß, dass der Versuch, "die Welt wachzurütteln mit einem Liebeslied nur eine Geste bleibt." Er sing davon. Seit über 30 Jahren.