Andreas Körner schreef 7 november 1997 in Sächsische Zeitung

Poetischer Wandersmann - ja, aber...


Der holländische "Nachbar" Herman van Veen vor seinen Konzerten im Dresdner Kulturpalast



Er hat längst viel von jener Scampino-Figur der Commedia dell' arte, die ihm als Kind so eine Art Urknall für die Zukunft verschafft hat: Eine Handbewegung reicht, und die unten im Saal sind ruhig. Sie lachen, hören zu, verfolgen gerade hier in Deutschland jedes Komma aus seinem Mund. Herman van Veen ist unterwegs auf Tour zu seiner neuen CD "Nachbar", vom 19. bis 21. November auch in Dresden. SZ traf den 52jährigen vorab in Kiel.

Sie waren vor drei Jahren das letzte Mal hier im Land. Was ist inzwischen passiert in ihrem Leben?
Ich war in sehr unterschiedlichen Ländern, lange Zeit in Frankreich und auch in Südafrika. Privat wurde ich plötzlich mit der Krankheit meiner Eltern konfrontiert; ich hätte nicht gedacht, wie stark mich das beeinflussen würde. Ich habe ein Buch geschrieben mit Namen "Nachtfalter", aus dem bald ein Film werden soll. Und ich habe eine CD mit Liedern von Franz Schubert aufgenommen. Nur war da gerade das Schubert-Jahr, das ist ein bißchen blöd, denn für mich steckt eine andere Geschichte dahinter.

Erzählen Sie doch darüber.
Ich mußt erst 52 Jahre werden, um Schubert singen zu können. Ich hab' das 30 Jahre lang vorbereitet, weil es für mich so wahnsinnig wesentlich ist. "Du bist die Ruh..." Hey, so ein Lied! Es gibt sicher klassische Sänger, die können das schon mit 30 interpretieren. Welche Ruh' soll das aber sein? Ich bin so wahnsinnig glücklich darüber, daß ich es jetzt singen kann, weil ich dabei meine Zukunft sehe, meine Zukunft als Clown.

Wie reagieren die Holländer heute auf ihren poetischen Landsmann?
Wir sind da jetzt drei Monate lang in einem Saal für 2000 Leute aufgetreten, jeder Abend war ausverkauft. Das war ein Traum. Ich spiele auch immer wieder für Kinder in kleinen Häusern, ich erzähle zusammen mit zwei Freundinnen die Weihnachtsgeschichte in Kirchen, bin in Krankenhäusern oder lese nur vor - ohne Musik. All das passiert.

Muß sich ein Herman van Veen ab und an noch Mut holen?
Es ist grandios, wenn du spürst, daß dir Leute nach so langer Zeit, nach so vielen Kurven noch begegnen wollen. Das ist reine Freude, pures Glück ist das. Und, daß du in den Kritiken noch Dinge wiederfinden kannst, die dir selbst ungemein wichtig sind. Nach dem Auftritt in Rostock habe ich die Zeitung gelesen, und ich habe geweint. Es hat mir enorm viel Mut gemacht, daß mein Konzert so im Herzen verstanden worden ist. Was ist mit diesen gigantischen Shows? Was passiert dort wirklich noch mit dem Publikum? Wem nützt es, wenn ich plötzlich in einer goldenen Unterhose auf die Bühne kommen würde? Was beweist das?

Die Reaktionen sind doch sicher von Ort zu Ort sehr verschieden.
Ich lege mit meinem Konzert eine Zelle, da kann es durchaus passieren, daß sie sich ganz anders beim Publikum entwickelt als bei mir. Das ist normal. Ich komme aber mehr und mehr bei mir selbst an und schaffe es zu zeigen, was ich wirklich will. Jetzt erzähle ich auf deutschen Bühnen, was ich in den letzten Jahren gemacht, gedacht und geschrieben habe. Es ist ein Bouquet. Ich muß aber den Leuten sagen, wenn sie in den Zugaben um ein ganz bestimmten Lied brüllen: Hey, wollt ich wirklich, daß ich mich reproduziere? Ich kann nicht einen Laden aufziehen und auf Befehl "Kleiner Fratz" singen. Ich bin keine Jukebox. Ich habe drei Stunden meine Seele leergepumpt und kriege es am Schluß mit dem Erfolg zu tun. Das ist grandios, ja, aber Wirklichkeit und Reise, Stein und Gedicht knallen da manchmal irrsinnig aufeinander. Die meisten Probleme gibt es in einer Umgebung, in die wir gar nicht reinpassen. In Deutschland spielen wir fast nur in Konzerthallen, Sporthallen und Kongreßhäusern, ganz selten in Theatern. Theater sind aber eigentlich unsere Säle. In Holland und in Frankreich spielen wir nur dort, in Amerika sucht dir dein Produzent den geeigneten Spielort, da spielst du wie ein einem Maßkostüm. Hier in Deutschland kommen wir in die Theater gar nicht erst rein. Die Volkskunst, die wir vertreten, hat da keine Chance. Ich finde das tragisch, denn auch wir erzählen eine Geschichte.

Sie machen sich seit vielen Jahren besondere Gedanken um Deutschland. Wenn Sie nach Frankreich fahren, wie sieht es dort damit aus?
Es ist gar nicht schön, daß die Deutschen nicht wissen, was sich in Frankreich, in Holland oder in Amerika mit mir abspielt. Genauso haben die Franzosen oder Engländer keine Ahnung von dem, was hier mit mir passiert. Es ist dort genauso intensiv, nur ist die Verbindung zur jeweiligen Kultur eine völlig andere. Durch meine Frau, die ist Französin, beherrsche ich die französische Sprache auf eine andere Art als die deutsche. Ich verliere enorm an Tempo im Deutschen, ich muß unwahrscheinlich viel denken, ehe ich reagieren kann. Das ist ein großes Handicap. Meine Position in Frankreich ist irgendwie normaler. Clownerie, Chansons und Theater in dieser Kopplung wie wir sie machen, ist für die Franzosen zwar neu, aber sie kennen diesen einzelnen Stile ganz genau. Die Konzerte dort sind leichter. Ich glaube, daß die Franzosen viel eher ins Theater gehen, um zu lachen. Sprache ist weniger wichtig als Musik und Lachen. In Amerika wiederum ist es eine bestimmte Energie, die da sein muß. In England ist die Musik eine Brücke zwischen Comedy und Humor. Das alles bedeutet aber nicht, daß wir uns verändern. Die Akzente verschieben sich nur. Zusammen mit dem Publikum entsteht eine völlig andere Dynamik.

Van Veen in Südafrika, das klingt grandios.
Von der Landschaft her ist es so ziemlich das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe, fast von biblischer Schönheit. Auf der anderen Seite spürst du überall diese hundertjährige Apartheid. Die siehst du in Gesichtern, in den Häusern. Wir wußten nicht, daß wir so berühmt sind dort, weil wir zu Zeiten der Apartheit immer tabu waren. Als die Demokratie einzog in Südafrika, ist unser Publikum erst richtig zum Vorschein gekommen. Ich dachte, daß da eine Fußballmannschaft mitgeflogen sein muß, denn der Empfang war enorm, ein Wald von Fotografen, Chöre sangen meine Lieder. Ich sah mein Gesicht auf den T-Shirts der schwarzen Kinderbrüste, das war unglaublich berührend. Ich habe in Afrikaans gesungen, und zumindest in den Open-air-Konzerten waren auch vielen Schwarzafrikaner.

Wie erfahren Sie Deutschland heute?
Ich sehe vor allem zwei Dinge: Da ist der Wettkampf, so schnell wie möglich materiell stark zu sein wie die anderen. Ich sehe im Osten viele Einholungsmanöver. Alles in Eile, alles in Hast. Man sieht hier so viel Infrastruktur, so viel Vermögen, daß es schon komisch ist, wie viele Leute sich beklagen. Ich spüre aber auch, daß die Gesichter vorwärts gehen in Richtung Vertiefung und Inhalt, daß die Flüchtigkeit sich wieder langsam in eine Richtung wendet zu mehr Profil und Substanz. Ich spüre die Unterschiede zwischen Ost und West. Laß' es mich so sagen: Im Osten scheinen die Leute "Ja, aber" oder "Nein, aber" zu sagen. Es ist ironisch. Im Westen gibt es ein "Ja" oder ein "Aber" oder ein "Nein". Das ist für mich zynisch. Ich möchte aber keine Polemik über Ironie und Zynismus beginnen. Nur so viel: Ironie liegt für mich viel näher an Liebe.

Bei Ihrem letzen Konzert sprachen wir von den vielen kleinen Dingen, die Sie auf Ihren Fahrten durch die Städte sehen. Möchten Sie den total verwucherten Baum an der Dresdner Kreuzung wiedersehen, den Sie am liebsten beschnitten hätten?
Aber klar. Man verliebt sich fast in diese Details. In Rostock war ich zwei Tage lang mit einem Straßenmusiker beschäftigt, der blies einfach auf der Straße sein Horn, das hat mich total berührt. Oder der Taxifahrer, der extra einen weiteren Weg genommen hat, um mir all die schönen Ecken zu zeigen, das war enorm lieb. Der war so was von stolz!

"Du gehst raus, und du spürst den Wind, so als ob du nackt aus der Dusche trittst." Ein sehr schönes Bild zum Gefühl auf der Bühne. Was kommt aber danach, wenn das Konzert beginnt?
Für mich sind Lieder wie Briefe, die ich verschicke. Ich sehe euch nicht, aber ich weiß, daß ihr da seid. Da ist eine unbeschreibliche Energie zwischen uns. Was ich sehe, ist ein riesiger Bildschirm mit dem, wovon ich gerade singe: Das Gesicht von dem Kind, den Faschisten, die Landschaften, durch die ich gefahren bin. Es ist ein Kino aus Gedanken, die ich visualisiere.

Ich glaube in den aktuellen Konzerten mehr denn je zu spüren, daß Sie viel mehr nur singen und das Zusammenspiel mit ihren beiden Musikern auskosten wollen.
Ganz genau, mehr denn je. Aber ich brauche gerade in diesem Land viele, viele Dinge um die Lieder herum. Auch das macht mir Spaß, sonst würde ich es nicht tun. Ich kann manchen Teil in meinem Programm gar nicht beschreiben. Wenn ich zum Beispiel mit der Flasche herauskomme, und mein Hemd hängt mir vorn aus der Hose - ich bin da so weit weg von Mann und Mädchen, so weit weg von Dingen. Weil ich dann "Ein deutsches Erwachen" singe. Das kostet so viel Kraft. Ich muß auch erst diese zwei Stunden auf der Bühne stehen, um Schubert als Zugabe zu bringen. Erst dann hab ich den Mut dazu. Genauso wie ich das Konzert immer mit einem Lied in Holländisch eröffnen muß. Das gibt mir die Kraft, so decke ich den Tisch.



Mit Herman van Veen sprach Andreas Körner




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