Frank Schumann schreef 7 mei in de Weser Kurier - mai 2001

Der Mond war vor dem Krieg schöner




Seine persönliche Revolution, seine Beziehung zum Fußball - und warum deutsche Mathematik vom Winde verweht wird

Bremen (nwn) - Herman van Veen ist nicht nur Sänger, Clown und Schauspieler, sondern auch Autor, Regisseur und jemand, der sehr genau hinschaut auf die Welt. In Deutschland ist er seit drei Jahrzehnten mit Liedern wie "Ich hab ein zärtliches Gefühl" sowie Fernsehsendungen für Kinder sehr populär: Überdies engagiert er sich in großem Maße in gesellschaftlichen und sozialen Bereichen. Vom 9. bis zum 11. Mai gastiert der Holländer drei Tage lang in der Bremer Glocke (Beginn jeweils 20 Uhr). Nordwest.net sprach mit van Veen.

Herr van Veen, wenn man die gesellschaftliche Entwicklung sieht, von Datenvernetzung bis BSE, haben Sie da immer noch "ein zärtliches Gefühl"?
Hermann van Veen: Natürlich, denn es hat sich doch eigentlich nicht viel geändert. Der Mensch hat wenig gelernt aus der Geschichte, und das, was passiert, ist mehr oder weniger dasselbe. Hinsichtlich BSE muss man sich ethisch ein paar Fragen stellen aber all das hat mein privates Gefühl Kindern, Eltern oder der Musik gegenüber nicht verändert. Als ich begann, Sänger zu sein, war mein erstes Lied hier in Deutschland "Ich hab ein zärtliches Gefühl", und die Reaktion war: "Der Mann muss schwul sein" (lacht). Ich will damit sagen: Auch wenn ich damals 24 war und heute 56 bin, also aus einer anderen Erfahrung heraus singe, hat sich die Welt in meinen Augen nicht basal verändert und mein Umgang mit ihr auch nicht.

Aber die Geschwindigkeit ist eine andere ...
Das ist richtig. Durch die Digitalisierung der Gesellschaft müssen wir viel mehr verkraften als je zuvor. Du brauchst etwas nur zu denken, und es ist schon registriert. Das hat seine Vorteile, aber auch seine Nachteile. Wenn ich zum Beispiel an mein Faxgerät denke: Das hat gerade wieder Papier gefressen. Die Auswirkungen spüren wir zwar nicht direkt, aber ich kannte ein paar Wälder, die es schon nicht mehr gibt. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Der Vorteil ist enorm, aber der Nachteil ist eben auch nicht zu übersehen.

Sie wirken sehr ruhig, nüchtern, analytisch. War das immer so?


Nein, ich bin tatsächlich ruhiger denn je, und das hat auch damit zu tun, dass ich im vergangenen Jahr meine Eltern verloren habe. Meine Mutter ist im April gestorben und mein Vater im Juli. Sie waren beide 83 und mehr als sechzig Jahre verheiratet; sie waren das beste von uns. Das war natürlich eine Revolution in meinem Leben, weil ich immer wusste, dass ich diese beiden Menschen jederzeit anrufen konnte, und das geht nun nicht mehr. Seltsamerweise hat das bei mir etwas ausgelöst, was ich mir vorher nie vorstellen konnte: Obwohl sie tot sind, sind sie in meinem Bewusstsein unwahrscheinlich anwesend. Ich habe das Gefühl, dass die Anrufe überflüssig geworden sind, und das sie auf irgendeiner Ebene unartikulierbar Kontakt zu mir haben. Und das ist eine Erfahrung, die ich niemals hätte vorhersehen können es gibt mir eine große Ruhe, beobachtet zu werden, und ich kann entscheiden, ob es stattfindet oder nicht. Ich kann es nicht so gut erklären, aber es tröstet mich sehr. So, und jetzt bin ich es, der angerufen wird (schmunzelt).

Haben Sie diese Erfahrungen in neuen Liedern verarbeitet?


Ja, das ist bei mir immer so. Ich singe "Tagespreise", was bedeutet, dass ich heute nicht weiß, was ich morgen singe. Man singt über das, was einen gerade bewegt. Es ist ja kein Theater in dem Sinne, sondern eher ein sorgfältig organisiertes Tagebuch und das ist jeden Tag anders. Wir setzen uns vor dem Konzert hin und beratschlagen, was wir machen. Man muss ja auch überlegen, was in der Gesellschaft stattfindet, und ob ein Text heute die gleiche Bedeutung hat wie gestern. Man muss sich da immer Gedanken machen, und das macht es auch enorm interessant.

Unterscheidet sich ihr jetziges Programm sehr von dem früherer Zeiten ich denke an Reinhard Mey, der bissiger geworden ist, oder an Konstantin Wecker, der immer wieder auch politisch Farbe bekennen will?


Zunächst einmal ist es sehr schön zu wissen, dass das, was man damals gewählt hat, heute noch stimmt dass ich also das tue, was ich als Kind schon tun wollte. Darin finde ich eine große Ruhe. Darüber hinaus bin ich eigentlich ein Mann ohne Ambitionen. Ich bin Musikant, mehr nicht. Mein Ziel und Wunsch ist es, Musik zu machen, und es ist herrlich, wenn Menschen zuhören. Wesentlich ist, das man den kürzesten Weg zur Wahrheit wählt, und da hat sich eigentlich bei mir nichts verändert nur die Themen verschieben sich, weil die Jahre eine andere Geschichte erzählen. Als ich jung war, sang ich "Hey, kleiner Fratz auf dem Kinderrad" ja, und jetzt weiß ich, dass dieser kleine Fratz 32 ist. Ich kann das Lied also nicht mehr singen es sei denn, es wird ausdrücklich gewünscht. Andererseits nuanciere ich mit 56 natürlich völlig anders als mit 23. Ich bin jetzt ein paarmal um die Welt gereist, habe in allen möglichen großen Städten gespielt, New York, London, Berlin, und da bekommt man eine andere Sicht und das überträgt sich dann auf die Bühne. Da wir gerade über meine Eltern sprachen: Kurz, bevor mein Vater starb, sagte ich zu ihm "Pa, der Mond sieht wunderbar aus heute nacht." Er antwortete: "Ja, er sieht fantastisch aus aber du hättest ihn vor dem Krieg sehen müssen." Und das ist das, was ich meine: Der Mond hat sich nicht verändert, aber für meinen Vater war es ein anderer Mond. Und diese Dinge kann man mit 23 noch nicht wirklich hören oder begreifen jetzt verstehe ich es erst, weil er nicht mehr da ist. Seine Sätze bekommen jetzt eine andere Relevanz als zuvor.

In Deutschland schätzt man besonders Ihre Warmherzigkeit. Wird man Ihnen damit gerecht?


Das ist schwierig (zögert lange). Also, ich bin ein Mensch, der sich beim Fußball fragt: Was denkt der Ball? Ich sehe oft die andere Seite der Dinge und da kommt auch der Clown durch, der ich bin. Ich frage mich zum Beispiel, wie es wäre, unter das Eis zu gehen, und ich sehe auch das, was man vom Baum nicht sieht, nämlich die Wurzeln. Beim Billiard ist es genauso: Wenn der Tisch zu kalt ist, der Stock zu stramm oder die Hände zu feucht, sollte man besser nicht beginnen. Ich denke über die Dinge viel nach, und das hat weniger mit Zärtlichkeit und Wärme zu tun als mit Andacht und Sorge. Zum Beispiel die Figur des Alfred Jodocus Kwak: Sie hat immer nur einen Text, und der lautet: 'Warum?'.

Wie wichtig ist Ihnen diese Figur bis heute?


Ich habe vier Kinder in echt und noch einen papiernen Sohn, und das ist für mich Kwak. Kwak macht es für mich möglich, Themen besprechbar zu machen wie durch das Abpellen einer Zwiebel und sie damit auf die allereinfachste Ebene zurück zu bringen. Dadurch wird es transportabel für mich und für das Publikum. Und das ist eine große Chance, um Dinge zu kommunizieren, die ein erwachsener Mann kaum kommunizieren kann. Aber via einer solchen Figur geht das.

Sie haben sehr viele Facetten. Ich nehme an, Ihnen ist bewusst, dass man Sie auf eine jeweils sehr persönliche Art wahrnimmt?


Ja, und das soll auch so sein. Wenn 1.000 Leute ins Theater gehen, ist mir völlig klar, dass sich da 1.000 Vorstellungen abspielen. Denn wenn du gestern geschieden bist, siehst du echt einen anderen Abend als wenn du gestern geheiratet hättest. Es soll auch immer abstrakt sein, ich brauche selbst einen bestimmten Freiraum. Wenn ich etwa im Kino bin, will ich meinen eigenen Film sehen und nicht den, den der Regisseur gemacht hat. Ich will auch eine Rolle spielen in dieser Geschichte und mich vielleicht in eine andere Frau verlieben als der Hauptdarsteller. So sind unsere Vorstellungen auch dramaturgisch aufgebaut es soll nicht so zwingend werden, sonst bekommt man eine bestimmte Botschaft übermittelt. Und das mag ich nicht. Und was das Image betrifft ich glaube nicht, dass ich ein Image habe. Ich bin einfach der Nachbar, der singt.

Mir fällt auf, dass Sie sehr genau mit Begriffen umgehen und sich auch sehr vor Übertreibungen in Acht nehmen. Mir kommt dabei das Lied "An eine ferne Prinzessin" in den Sinn: Da singen Sie "...ich hab' sie damals sehr gemocht, vielleicht sogar geliebt" und nicht etwa, ich hab' sie sehr geliebt, wie es wohl die meisten anderen Sänger getan hätten ...

Exakt, aber ich muss ehrlich sagen, dass ich nach 56 Jahren noch nicht das Wort Liebe definieren kann. Das ist so groß und so vielseitig, dass man nicht so einfach fallen lassen sollte. (Wird leise und intensiv:) Das ist ein Wort, Du, das ist ein Monument von einem Wort. Und Liebe tut ja auch enorm weh es ist Bejahung, es ist Verneinung, es macht abhängig. Ich brauche sehr viele Ebenen, bis ich von Liebe spreche. Ich kann sagen, dass ich meine Kinder liebe, meine Frau, meine Eltern natürlich aber sonst... Ja, das Beispiel, dass Sie da nennen, ist wirklich sehr hermanesk.

Ein anderes Lied, stellvertretend für die Melancholie, für die Sie ja auch stehen: "Der Mann, der so gerne nicht mehr leben wollte" traurig, melancholisch, aber auch ein Plädoyer für das Leben. Man findet es auf keinem Best Of-Sampler, Sie singen es auch nicht mehr. Warum?


Ich habe es nur sehr kurz gesungen, weil es mir schnell zu kräftig wurde. Ich kann ein Lied nur weiter singen, wenn ich das, was ich da besinge, auch aktuell so sehe. Und wenn das nicht der Fall ist, dann frage ich mich doch: Wieso will der nicht mehr leben? Das Leben ist doch super, es gibt Fussball und Bier (lacht) ... Und da kannst Du einen Kreis kommen, wo es einfach nicht mehr passt.

Stichwort Fußball: Sie sind ein großer Fan ...


Oh ja, Fußball ist mein Ding. Sogar mein Sohn musste Fußball spielen, weil ich Fußball so liebe auch wenn er überhaupt kein Interesse hatte. Ich erinnere mich wie heute an sein erstes Spiel, mit acht Jahren. Die Kinder kamen freudig auf das Feld gestürmt, liefen dem Ball hinterher nur er sah nicht den Ball, sondern nur die Kaninchen am Spielfeldrand. Ich habe dann ganz Vater von außen reingebrüllt, 'He, der Ball ist da'. Daraufhin war er richtig beleidigt, schnappte sich den Ball, schoss ein Tor, kurz darauf noch eins und wollte danach nie mehr Fußball spielen. Er fand die Kaninchen einfach interessanter. Warum sage ich das? Er konnte, wenn er gewollt hätte, unwahrscheinlich gut Fußball spielen. Aber er wollte nicht. Ich wollte, dass er Fußball spielt und das zu erkennen war für mich eine wichtige Erfahrung.

Freuen Sie sich wie die meisten Holländer auch besonders, wenn gegen Deutschland gewonnen wird?


Ja logisch.

Warum?


Na, weil wir besser sind (grinst). Der große Unterschied zwischen dem deutschen und dem holländischen Fußball ist doch der, dass die Holländer um des Spielens willen spielen sie wollen das Spiel nicht gewinnen, wenn es nicht schön ist. Deutschland dagegen spielt mit einem bestimmten System, weil sie damit gewinnen wollen. Und das ist nicht besser oder schlechter aber das eine ist funktionell, und das andere ist nicht funktionell. Und das hängt auch damit zusammen, dass Holland ein Landstreifen am Meer ist bei uns weht es niemals nicht. Alles weht: Unsere Literatur weht, unsere Gemälde wehen, unsere Sänger wehen. Bei uns klebt einfach nichts, weil es wegweht. Wir sind Segler, wir sind Reisende und Deutschland ist vielmehr ein Strukturland, es ist mathematischer. Wir haben als genetische Ideologie Wind und so sieht unser Fussball auch aus. Er ist kreativ, die Flügel sind gut besetzt, und der Ball tut seinen Job aber das will nichts heißen, wenn es gegen ein System geht. Und das deutsche System ist das vernünftigste System der Welt mit dem Ziel: Gewinnen. Aber das Ziel der Holländer ist mir sympathischer, denn es heißt: Spielen.






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