Thomas Zimmer schrieb am 06.10.2002 in der Badische Neuste Nachrichten

Herman van Veen in Konzerthaus Karlsruhe

Fröhlicher Fußballfan und armer Poet



Fast dreistündiger Auftritt begann sanft und endete mit Enthusiasmus

Das Karlsruher Konzerthaus riecht an diesem Abend leicht nach Bodyshop: egal, aber immer noch ein bisschen alternativ. Ganz ohne Ironie: eine Kulisse für den mittlerweile 57-jährigen Holländer, dessen Werk man in den siebziger Jahren auswendig können müsste, wenn man Student (männlich) war und eine Chance bei den Frauen haben wollte.

Er startet verhalten: "Du bist sanft, nicht sanfter. Du bist anders sanft." Aber die Steigerung: Fechtposen mit zwei Geigenbogen am Schluss. Effektvoll, Theaterlicht, nichts Bundes. Clever inszeniert. Und schon in der ersten fünf Minuten macht das hochkarätige Ensemble (zwei Männer, drei Frauen) klar: Hier wird auf höchstem Niveau musiziert. Mit Flügel, Violine Basstuba, Drehleier, Gitarre und diverse Percussionsinstrumenten. Herausragend die Gitarre Edith Leerkers, die immer wieder Glanzpunkte setzt, ohne sich in den Vordergrund zu spielen.

Herman sitzt an etwas, das aussieht wie ein Schreibpult, sich aber später als umfangreiches Schlaginstrumente-Arsenal entpuppt. Zigeunermusik, Chanson, Akustik gewordene Barockengelchen, all das vermengt der Meister zu einem Gesamtkunstwerk, in dem alles seinen Platz hat, und doch ineinander überfließt. Das Publikum klebt an seinen Lippen, auch wenn er über weite Strecken am Textblatt klebt. Er singt vor aus seinem Buch und es wirkt wie eine Bibelrezitation. Als Alfred Jodokus Kwak wandert er gemessenen Schrittes ein paar Jahre in die Zukunft. Mit kleinen Geschichten schüttet er ein Wechselbad der Gefühle aus. Ja, die Klimakatastrophe, 2005. Überall nur noch Wasser. Aber so schlimm kann es nicht sein. Denn 2006 wird Holland Fußballweltmeister. Als Kontrast gleich darauf: "Warum bin ich so fröhlich?" - gebildete Partymusik.

Und immer wieder der Clown. Da ist er am besten: Wenn er auf dem Kamm bläst, und es klingt wie der besoffene Geist eines Georg Zamfir, der uns was panflötet. Wenn er unter einem Regenschirm ohne Bespannung steht und aussiegt wie Spitzwegs armer Poet und gleichzeitig wie ein Kind, das etwas ausgefressen hat. Dann muss man ihn einfach lieben. Und wieder der Bruch: Percussionrythmen, merkwürdige Sprache. Es klingt wie afrikanische Stammesgesänge, aber dann schält sich die französische Sprache heraus. Die Schöpfungsgeschichte. Publikum ringt mit Atemnot. Zu recht. Dieses überraschende Hineingleiten ins Brüllkomische ist Entertainment - Perfektion einer ganz besonderen Sorte. Auch in der Glanznummer "Wie prächtig könnte die Oper sein, wenn es keine Sänger gäben würde." Aber auch er singt. "Mit Liedern singst du den Krieg nicht zu Ende". Beruhigend, dass er es dennoch versucht. Er zaubert. Ganz ohne doppelten Boden. Tricks, die nicht funktionieren. So offensichtlich nicht funktionieren können und den falschen Schein entlarven. Er setzt sich wieder, zieht die Hosenbeine hoch, ein letztes Mal. Zum Basstubasolo.

Viele, viele Zugaben. Wohlerogenen, gut angezogene Menschen schreien und trampeln. Ganz zum Schluss ein holländisches Lied für die "48 Landsleute im Saal". Die Deutschen seien nicht verpflichtet, zu bleiben. Sie blieben. "Herman, Herman…" Es klingt wie beim Fußball. Und das darf es nach bald drei Stunden auch.