In de F.A.M. schreef ???? op 3 augustus 19984
AN DER RÜCKSEITE DES LEBENS: HERMAN VAN VEEN
"... für einen andem/ alles, was ich hab, ist ein Name nur/ den hab ich von einem
andern./ alles, was ich sag, sag ich einem andern/ und alles, was ich geb, geb
ich einem andern/ alles was ich hab, ist ein Name nun /den hab ich von einem andern.
Die Hand, die ich geb, geb ich einem andern/ und die Tränen, die ich laß/ wein ich
um einen andern/ den Sinn, den ich hab, hab ich in einem andern/ und die Liebe,
die ich fühl, ist für einen andern./ Nur meine Gänsehaut ist von mir selbst."
Als der versoffene, göttliche walisische Dichter Dylan Thomas zum ersten Mal in
Amerika auftrat, war der sogenannten Geschlagenen Generation für ihn kein Vergleich
entlegen genug. Lord Byron habe den offenen Kragen eingeführt, Walt Whitman die
offene Straße und dieser neue Prophet die offene Hose. Warum nicht Herman aus Holland
mit Lord Byron, Walt Whitman und Dylan Thomas vergleichen? Hermann van Veen hat die
offenen Gefühle eingeführt; die vielen kleine Gefühle, die zusammen ein großes Gefühl
ergeben. Gefühle wohlgemerkt, keine Feelings.
Viele kleine Gefühle. Ob er Sozialist ist? ,,Ich bin überhaupt kein ...ist." Manches
scheidet da aus: Humorist, Kabarettist, idealist, Artist, Drogist, Polizist. Der
Musiker bleibt. Herman van Veen, fast vierzig Jahre alt, lebt in einem kleinen
Ort in der Nähe von Utrecht. Dort steht sein Kessel, dort braut er sich zusammen.
Er kann es, weil es da alles gibt:
sämtliche Konfessionen, Professionen, Passionen. Holland ist ein tolerantes
Fleckchen Erde. Das letzte, was Herman van Veen sein könnte, wäre Platzanweiser
Zweiundzwanzig Jahre hat er gelebt wie es sich gehört, im Utrechter Vogelviertel,
gegenüber dem Studentenwohnheim und direkt unterhalb der Gasfabrik. ,,Niemand bei
uns zu Hause, nicht von ,Vaters und nicht von Mutters Seite, beschäftigte sich mit
Musik, Theater oder Tanz. Sie waren alle Kaufleute, Arbeiter, Marktleute und
Hausfrauen. Die Frauen so, wie man sie sich vorstellt, Arme verschränkt, Schürze
um, wartend vor dem Haus bis du aus der Schule kommst, Täßchen Tee, Zwieback, jeden
Tag saubere Unterwäsche, einmal in der Woche in den Waschzuber auf der Spüle.
Es ist eigentlich seltsam, der einzige, der bei uns in der Familie etwas
Kunstsinniges machte, war mein Opa muterlicherseits. Er war Billardspieler und spezialisiert
auf Kunststöße."
Den familiären Mangel gleicht Herman van Veen jetzt aus: als künstlerischer
Allesmacher. Zum Alleskönner fehlt ihm vor allem Realitätssinn. Wie soll man
erwa-chen, wenn man immer nur gelernt hat zu träumen: auch so eine
biographische Melodie. Herman van Veen ist ein Tagträumer, der Sonnenstrahlen
und bunte Wiesenfarben sammelt für unsere kalten, grauen Winterabende. Auf
welche Art er das macht, darüber gibt sein Tagebuch Auskunft, das er einen
Spaltbreit öffnet, so daß man seinen Fuß dazwischenklemmen kann; ,,Ein Lied
entsteht auf dem Boden einer Kaffeetasse, wenn man den eingetrockneten Zucker
nicht abkriegt und ein Ali-bi sucht, ihn auf dem Tassenboden zu lassen: mal
schnell weg, um ein Lied zu machen, in der Hoffnung, daß jemand anders das
Täßchen inzwischen abwäscht, man ist ja schließlich mit Kunst beschäftigt."
Seine bessere Hälfte Marlous, die ihn seit zwölf Jahren komplettiert, kann
sich offenbar ganz gut wehren, wenn man Hermans dichten Dialogen trauen darf.
Er:
,,Blumen sind von ganz alleine schön, ohne daß man darum bittet, ohne
Komplimente. Das kann ich von dir nicht immer sagen. Sie: ,,Wäschst du
dann eben ab? Dann bin ich schön." Er: ,,Du kannst manchmal so unerwartet
geistreich sein, blöde Kuh" Langeweile wird es kaum geben bei den van
Veens, mit dem emanzi-pieflen Herman, seiner Frau Marlous, die wie ein
schöner Resonanzkörper seine Töne verstärkt zurückwirft, und den vier
Kin-dern. Auch deshalb nicht, weil das Verweilen im Repertoire von Herman
nicht vorgesehen ist.
Erik van der Wurff, sein Pianist und Freund, kennt ihn schon seit der
gemeinsamen Studienzeit am Konservatorium in Utrecht Anfang der sechziger
Jahre. Lange genug, um zu wissen, daß Herman van Veen weniger an den
Obertönen klassischer Musik als an den Untenönen der Kleinkunst, dem
verrauschten Tenorsaxophon Benny Golsons und der Volksmusik vom Balkan,
den vitalen Chansons von Jacques Brel und dem Ketzertonfall von Jean Ferrat
interessiert war. Dennoch erwarb Herman neben dem Geigen- und Gesangsstudium auch noch das Lehrerdiplom: seinen Fall-schirm, den er nie
öffnen mußte.
Nein, eine Doktorarbeit über Johann Pachelbel oder Heinrich Schütz wollte er
nicht schreiben. Sein Studium ernster Musik beschloß er folgerichtig 1977 mit
seinem Harlekijn-Lied, zehn Jahre nach dem eigentlichen Examen. Vor dem
Streicherhintergrund eines Stückes von Antonio Caldara, dem italienischen
Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs, intonierte er seinen leichtzüngigen
Abgesang auf die Musitgeschichte:
floebelegab stobelegab flop flop flee/ floebelebabba stobelegabba stikke
dikke/ drop drop stabba/ gabba hobelegabba stobelegabba flibelegabba stikke/
dikke hop stop snee.
Tausend Jahre Musikhistorie in zwei Nonsens-Minuten
gepreßt: Wer den Aphorismus wagt, muß tief durchatmen.
Kerman van Veens Lieder sind keine Galanteriewaren. Es sind Anmerkungen zum Alltag.
Musik für August, den Dummen, nicht für Ludwig, den Zweitcn. Vermutlich hat den
neugierigen, den sprungbereiten, den lebendigen Herman van Veen die leichte
Muse deshalb so angezogen, weil ihr die anachronistische Aufteilung in Kunst
und Leben oder Kunst und Wirklichkeit, diese - Martin Walser hat das
formuliert - aus Idea-lismusland stammende Konvention, weniger ins
Handwerk pfuscht als der ernsten Musik.
In der lichtdurchfluteten Sprache des Holländers Herman van Veen nimmt
sich das ganz prall aus: ,,Die meisten Züge fahren an der Rückseite des
Lebens entlang. Man sieht einen Schuppen, dage-gen lehnt ein Fahrrad.
Eine Küchentür, die ein Stückchen aufgeht. Das Leben geht hinter den
Häusern entlang. Nicht vorne, da läuft die Macht. Hinter den Häusern,
wo die Wäsche hängt, da spielt sich alles ab. Auch für den Künstler.
Ich lebe bei mir zu Hause in der Küche, da gehen die Menschen ein und aus,
da wird Kaffee gekocht."
Auf der Bühne versucht Herman van Veen sein ideales Leben nachzustellen.
Er hängt Wäsche auf eine Leine, schiebt - die Mutter Courage des holländischen
Chansons - einen Kinderwagen resolut über die ächzenden Bretter. Er wartet auf
einem namenlosen Bahnsteig, den Kassettenrecorder auf Bahnhofslautstärke
gedreht, mit einem Hochzeitsbukett
in der Hand. Ein Mann erscheint:
Reis auf ihn, Reis auf Herman, die beiden tragen sich weg. Hoppla, da stimmt
doch etwas nicht! Wie dem auch sei, Hinterhof, Treppenhaus, da, wo sich
alles abspielt.
Müßte man den Charakter von Herman van Veen auf einen einzigen Begriff bringen,
es käme vermutlich nur das Wort "unbefangen" in Frage. Ohne Vorbehalte nähen er
sich einem neuen Instrument wie einer ungewohnten menschlichen Situation.
Er spielt Saxophon, das er noch nicht gelernt hat, und er versucht,
Schwule zu verstehen, die ihn nichts angehen. ,,Er sucht immerzu nach
etwas anderem als dem, dessen er sich im Moment gerade sicher ist Und
deswegen wird er immer wieder für verrückt erklärt", sagt sein Freund Erik,
während Herman gerade an einem Seil - ein Puppenbaby auf dem Rücken - einen
Bühnenberg besteigt, der nur in seiner Phantasie existiert.
Wenn man in seine Konzerte geht, seine Schallplatten auflegt, eines seiner
Kinderbücher zur Hand nimmt oder eine seiner Fernsehsendungen ansieht, immer
läßt man sich auf ein Abenteuer ein. Bei Herman van Veen kommt Kunst nicht
von Können, sondern von Wagen. Geige spielt er wie ein Zigeuner, singen kann
er alles:
Arien, sanfte Liebeslieder, knorri-ge Songs, rostige Leierkastenmelodien,
die in den Scharnieren knirschen. Er tanzt auch. Nicht wie Nurejew, aber wie
Gene Kelly: mit einem Fuß auf dem Trottoir1 mit einem im Rinnstein. Ob man
das alles zu hören und zu sehen bekommt, wenn man sich auf ihn einläßt, steht
nicht fest. Vielleicht wird er ein wunderschönes Lied auf Edith Piaf singen und
dabei mit ihrem Kleid über die Bühne wirbeln. Vielleicht sitzt er auch nur da,
wirft von Zeit zu Zeit einen Tischtennisball in die Luft und hört im übrigen zu,
wie seine Haare ausfallen.
Man könnte ihn fragen, was das alles soll. Unnötig. Kinder fragt man nicht, Kinder
dürfen selbst Fragen stellen. Auf einem Titelbild der von Herman van Veen
mitherausgegebenen Zeitschrift Harlekijn sieht man ein buntes Foto. Ein
altmodischer Kinderwagen, an dem zahllose Luftballons flattern, steht allein
irgendwo im Wattenmeer. Man sieht kein Kinderbein herausschauen. Aber jede Wette:
da liegt er drin.
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