OLIVER RUF schreef in Letzeburger Journal vom 3. Juni 2003 (lux)

DIE WELT WACH ZU SINGEN MIT EINEM WIEGENLIED

Harte Schnitte, große Gesten, Patchwork-Konzert: Herman van Veen und seine Bühnenpräsens


Ein Gesicht mit einer Geige vor den Kopf geschnallt. Den Haarkranz zu beiden Seiten weggefönt, hinter dem Holz der Violine zwei tiefblaue Augen. Das Seil, das jenes Instrument an den Menschen fesselt, ist stramm gesurrt – und doch ließe sich sein Knoten mühelos lösen, wenn man es nur möchte. Dieses Bild hat Herman van Veen für seine aktuelle Platte und Tournee „Was ich dir singen wollte“ gewählt. Damit kündigt er sich einerseits auf Plakaten und Programmheft an und verweist anderseits auf seinen Kunst-Entwurf: Es geht ihm um Musik im Vordergrund, aber hinter den Tönen und zwischen den Liedern lugt listig und lustig ein Schelm hervor.

Im Conservatoire Municipal, in dem der holländische Künstler an zwei Abenden gastierte, fiedelt er rasant, trägt Flieder-Farben-Hemd und singt – ja schmettert die schönen Weisen, flotten Songs und ernstlichen Texte, für die Herman van Veen in der Vergangenheit zahllose Preise und Auszeichnungen erhielt. Mittlerweile hat er mehr als 115 Alben in fünf Sprachen produziert, schreibt Film- und Ballettmusik, arbeitet als Regisseur und Schauspieler, verfasst Kinderbücher und steht gegenwärtig auf der Bühne. Er ist Träger des „Louis David Ringes“ (1976), wurde von der niederländischen Königin 1993 zum Ritter des Ordens von Oranje Nassau ernannt und freute sich vor vier Jahren über das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Goldene Kamera, ein Silberner Bär, acht Edisons, den Prix d`Humanité, Lorbeeren beim New Yorker TV- und Filmfestival. Ein internationaler Star.


foto: Oliver Ruf



Kaum zu glauben, dass Anfang der Siebziger im deutschen Fernsehen ein rätselhafter Holländer auftauchte, den niemand kannte, der in der holländischen Heimat jedoch sehr berühmt sein sollte. Ein paar Jahre später sang van Veen "He, kleiner Fratz". Heute feiert ihn in Luxemburg das Publikum, wenn er steppt, wackelt und wirbelt, wenn die Haare beim Bühnengang wehen und er mit holländischem Akzent schnalzt: „Warum bin ich so fröhlich, so fröhlich, so fröhlich, so unbeschreiblich fröhlich, so fröhlich wie noch nie?“ Aufgeräumt wiederholt der Saal den lebenslustigen Refrain. Er stammt aus dem Schnabel der Zeichentrick-Ente Alfred Jodocus Kwak, deren Flimmerkasten-Serie van Veen selbst erfunden hat und die weltberühmt geworden ist.

Manchmal ist van Veen ein Blödel-Barde, der gerne einen Witz erzählt, der zaubern kann, eine Unterhose überzieht und einen Wasserschlauch zur Rampe trägt. Slapstick, Parodie, Heiterkeit – das gehört zu den frohgemuten Mienen des Humoristen Herman van Veen. Aber es gibt auch die stillen Augenblicke, die Geschichten von Kindesmissbrauch und Traurigkeit. Schließlich engagiert sich van Veen seit 1968 als Botschafter der UNICEF, 1997 gründete er gemeinsam mit Ron van Eeden und Maarten Sikking in Südafrika die „Herman van Veen Foundation“, ebenfalls eine Kinderhilfsorganisation.

Georges Moustaki sagte einmal über ihn: „Herman, ich erkenne in dir die Weisheit des Hofnarren, die Brutalität des Moralisten, während du vorgibst, nur das Ziel zu verfolgen, uns zu unterhalten.“


Bei seinen Konzerten, da sind gedrängte Sätze: „An deiner Jacke klebt ein Leben lang das Preisschild.“ Und: „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, möchte ich etwas glücklich sein.“ Oder: „Tu es juste / pas plus juste / autrement / juste.“ Harte Schnitte setzt van Veen im Auftritt, lässt die Leute lachen und verstummen, jauchzen und begreifen. Er spannt das Drahtgestell eines Regenschirms auf, knipst Glühbirnchen an und dreht dies Karussell über dem Pianisten Erik van der Wurff. Melancholie im Konservatorium. Van der Wurff tastet am linken Bühnenrand, in einem Halbkreis sitzen die sieben übrigen Musiker mit ihren Geigen, ihrem Bass, ihrer Klampfe und dem Rhythmus-Inventar. Barfüßig zupft zum Beispiel Edith Leerkes ihren Gitarren-Ton, Wieke Garcia erweist sich beim Zeitungs-Knistern und Kisten-Klopfen als Percussionistin voll Talent und Farbe.

Nicht unbedingt van Veen allein steht hier in den Scheinwerferkegeln, sondern gemeinschaftlich die komplette Truppe. Bezeichnend dass van Veen gegen Ende eine Rose zückt und jedem Mitglied seiner Band ein Blatt davon schenkt. So gelingt das Patchwork-Konzert: Unterschiedliche Stile, Charakter, zusammengeschnittene Themen, krasse Widersprüche und dennoch ein großes Ganzes, das über allem die Vorstellung schmückt: Hermann van Veen, der Musikant, und sein Anspruch: „Es bleibt eine Geste, die Welt wach zu singen mit einem Wiegenlied.“ Applaus, Zugaben und lange stehende Ovationen.