... schreef 3 mei 2001 in Die Welt

"Ich bin ein Musikant, mehr nicht - nur der Nachbar, der singt"



WELT-Interview mit Herman van Veen über das Leben an sich, spezielle Sichtweisen und den holländischen Fußball Herman van Veen, geboren 1945, ist nicht nur Sänger, Clown und Schauspieler, sondern auch Autor, Regisseur und jemand, der sehr genau hinschaut auf die Welt. In Deutschland ist er seit drei Jahrzehnten mit Liedern wie "Ich hab ein zärtliches Gefühl" oder "Kleiner Fratz" sowie Fernsehsendungen für Kinder sehr populär: Überdies engagiert es sich in großem Maße in gesellschaftlichen und sozialen Bereichen - auch wenn er den Begriff "Engagement" nicht mag. Vom 9. bis zum 11. Mai gas-tiert der Holländer in der Bremer Glocke (Beginn jeweils 20 Uhr). Im Vorfeld sprach Frank Schümann für die WELT mit Hermann van Veen - und stellte fest, dass keines der vielen Etikette, mit denen der Künstler bedacht wird, für sich allein ausreichend ist.

DIE WELT: Herr van Veen, wenn man die gesellschaftliche Entwicklung sieht, von Datenvernetzung bis BSE, haben Sie da immer noch "ein zärtliches Gefühl"?
Hermann van Veen: Natürlich, denn es hat sich eigentlich nicht viel geändert. Der Mensch hat wenig gelernt aus der Geschichte, und selbstverständlich muss man sich ethisch ein paar Fragen stellen - aber all das hat auf mein privates Gefühl Kindern, Eltern oder der Musik gegenüber keinen Einfluss genommen, das ist dasselbe. Als ich begann, Sänger zu sein, war mein erstes Lied hier in Deutschland "Ich hab ein zärtliches Gefühl", und die Reaktion war: "Der Mann muss schwul sein" (lacht). Ich will damit sagen: Auch wenn ich damals 24 war und heute 56 bin, ich also aus einer anderen Erfahrung heraus singe, hat sich die Welt in meinen Augen nicht grundlegend verändert - und mein Umgang mit ihr auch nicht.

WELT: Aber die Geschwindigkeit ist eine andere...
van Veen: Das ist richtig. Durch die Digitalisierung der Gesellschaft müssen wir viel mehr verkraften als je zuvor - du brauchst etwas nur zu denken, und es ist schon registriert. Das hat seine Vorteile, aber auch seine Nachteile. Wenn ich zum Beispiel an mein Faxgerät denke: das hat gerade wieder Papier gefressen. Die Auswirkungen spüren wir zwar nicht direkt, aber ich kannte ein paar Wälder, die es schon nicht mehr gibt. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Der Vorteil ist enorm, aber der Nachteil ist eben auch nicht zu übersehen.

WELT: Sie wirken sehr ruhig, nüchtern, analytisch. War das immer so?
van Veen: Nein, ich bin tatsächlich ruhiger denn je, und das hat damit zu tun, dass ich im letzten Jahr meine Eltern verloren habe. Meine Mutter ist im April gestorben und mein Vater im Juli, sie waren beide 83 und mehr als sechzig Jahre verheiratet; sie waren das Beste von uns. Das war natürlich eine Revolution in meinem Leben, weil ich immer wusste, dass ich diese beiden Menschen jederzeit anrufen konnte - und das geht nun nicht mehr. Seltsamerweise hat das bei mir etwas ausgelöst, was ich mir vorher nie vorstellen konnte: Obwohl sie tot sind, sind sie in meinem Bewusstsein unwahrscheinlich anwesend. Ich habe das Gefühl, dass die Anrufe überflüssig geworden sind, und dass sie auf irgendeiner Ebene Kontakt zu mir haben. Und das ist eine Erfahrung, die ich niemals hätte vorhersehen können - es gibt mir eine große Ruhe, beobachtet zu werden, und ich kann entscheiden, ob es stattfindet oder nicht. Ich kann es nicht so gut erklären, aber es tröstet mich sehr. So, und jetzt bin ich es, der angerufen wird (schmunzelt).

WELT: Unterscheidet sich Ihr jetziges Programm sehr von dem früherer Zeiten? Ich denke an Reinhard Mey, der bissiger geworden ist, oder an Konstantin Wecker, der politisch Farbe bekennen will...
van Veen: Zunächst einmal ist es sehr schön zu wissen, dass das, was man damals gewählt hat, heute noch stimmt. Darin finde ich eine große Ruhe. Darüber hinaus bin ich eigentlich ein Mann ohne Ambitionen. Ich bin Musikant, mehr nicht - nur der Nachbar, der singt. Mein Ziel und Wunsch ist es, Musik zu machen, und es ist herrlich, wenn Menschen zuhören. Wesentlich ist, dass man den kürzesten Weg zur Wahrheit wählt, und da hat sich bei mir eigentlich nichts verändert - nur die Themen verschieben sich, weil die Jahre eine andere Geschichte erzählen. Als ich jung war, sang ich "Hey, kleiner Fratz auf dem Kinderrad" - ja, und jetzt weiß ich, dass dieser kleine Fratz 32 ist. Dazu kommt: Ich bin jetzt ein paar Mal um die Welt gereist, da bekommt man eine andere Sicht. Und da wir gerade über meine Eltern sprachen: Kurz, bevor mein Vater starb, sagte ich zu ihm "Pa, der Mond sieht wunderbar aus heute Nacht". Er antwortete: "Ja, er sieht fantastisch aus, aber du hättest ihn vor dem Krieg sehen müssen." Und das ist es, was ich meine: der Mond hat sich nicht verändert, aber für meinen Vater war es ein Anderer. Und diese Dinge kann man mit 23 noch nicht wirklich begreifen.

WELT: In Deutschland schätzt man besonders Ihre Warmherzigkeit. Wird man Ihnen damit gerecht?
van Veen: Das ist schwierig (zögert lange). Ich bin ein Mensch, der sich beim Fußball fragt: Was denkt der Ball? Ich sehe oft die andere Seite der Dinge - und da kommt auch der Clown durch, der ich bin. Ich frage mich zum Beispiel, wie es wäre, unter das Eis zu gehen, und ich sehe auch das, was man vom Baum nicht sieht, nämlich die Wurzeln. Ich denke über die Dinge viel nach, und das hat weniger mit Zärtlichkeit und Wärme zu tun als vielmehr mit Andacht und Sorge.

WELT: Sie sind auch ein großer Fußball-Fan. Freuen Sie sich wie die meisten Holländer auch besonders über Siege gegen Deutschland?
van Veen: Ja logisch...

WELT: Warum?
van Veen: Weil wir besser sind (grinst). Der Unterschied zwischen dem deutschen und dem holländischen Fußball ist der, dass die Holländer um des Spielens willen dabei sind - sie wollen nicht gewinnen, wenn das Spiel nicht schön ist. Die Deutschen dagegen agieren mit einem bestimmten System, weil sie damit gewinnen wollen, und das ist nicht besser oder schlechter - aber das eine ist funktionell, das andere nicht. Und das hängt auch damit zusammen, dass Holland ein Landstreifen am Meer ist - bei uns weht es niemals nicht. Alles weht, unsere Literatur, unsere Gemälde, unsere Sänger. Wir sind Segler, wir sind Reisende, unsere genetische Ideologie ist Wind - und so sieht auch unser Fußball aus. Er ist kreativ, die Flügel sind gut besetzt, und der Ball tut seinen Job. Das deutsche System ist das Vernünftigste der Welt, mit dem Ziel: Gewinnen. Aber das Ziel der Holländer ist sympathischer, denn es heißt: Spielen.

Gastspiele vom 9. bis 11. Mai in der Glocke