Christov Graf schreef 02 oktober 2001 in de Saarbrücker Zeitung

Am Rande seiner Saarbrücker Konzerte: Multitalent Herman van Veen im Gespräch



So leise wie möglich schreien



Frage: Der Titel Ihres neuen Albums klingt, als bereuen Sie, etwas zu einer bestimmten Person oder zu einer bestimmten Zeit nicht gesagt zu haben?

Van Veen: Diese CD ist in einer Periode entstanden, als ich beide Eltern verlor. Für mich ist diese CD zu einer Brücke geworden. Was ich noch sagen wollte, singe ich. Daneben benötigt man in diesen Zeiten Musik und Kultur mehr als je zuvor.

Frage: Das klingt, als würde da immer etwas sein, was man nie gesagt hat...

Van Veen: Auch wenn ich dazu 56 Jahre alt werden musste, ich werde immer vorsichtiger mit Meinungen über andere Menschen. Viele Menschen können sich gar nicht so offenbaren, wie sie wirklich sind, und daraus ergeben sich manchmal Missverständnisse, die eigentlich gar keine sind. Nur aus dem Grund, weil man nicht alles gesagt hat, was einem bewegt.

Frage: Was kann man Ihrer Meinung nach tun, um solche Missverständnisse untereinander auszuschließen?

Van Veen: Ich denke, dass wir nicht nur mehr miteinander reden müssen, sondern viel mehr zuhören müssen. Und dabei ist das unwesentlich Erscheinende oft weitaus wichtiger, als man glaubt.

Frage: Kann man diese Erkenntnis auch auf politische Ereignisse übertragen?

Van Veen: Unbedingt. Und hierbei ist die Erfahrung dieser Erkenntnis meist schmerzhafter, weil schrecklicher. Wir können nicht sagen, wir haben es nicht gewusst. All diese schrecklichen Szenarien, selbst solche, wie die des World Trade Centers wurden bereits in der Literatur beschrieben. Aber wir müssen nicht nur einen Kreuzzug gegen den Terrorismus, sondern auch einen Kreuzzug gegen den Hunger, gegen Aids führen, sonst wird immer wieder so etwas geschehen. Warum verstehen wir nicht, dass wir die Zivilisation miteinander teilen müssen? Teilen wir sie nicht, entwickeln wir uns nicht weiter. Wie wir wissen, verändern Lieder nicht die Welt.

Frage: Dennoch appellieren Künstler wie Sie an die Vernunft der Menschen. Wie kann die Realität verändert werden?

Van Veen: Immer zuerst durch den Kopf. Dafür ist es nie zu spät. Wir müssen beginnen, anders zu denken. Man kann nicht einfach gewissenlos tun, was man tut. Wir müssen verstehen, dass das, was jemand zu viel hat, einem anderen fehlt.

Frage: Kann einem Künstler nicht auch vorgeworfen werden, dass er mit solchen Äußerungen, nur an der Oberfläche kratzt, nur Worte ohne Taten anbietet?

Van Veen: Ein Künstler ist nicht dazu da, Lösungen anzubieten. Es geht nicht darum anzuprangern. Ein Künstler spricht aus dem Herzen und er verarbeitet, was ihn bewegt. Das Publikum entscheidet, ob es ihm wichtig ist, was der Künstler anbietet. Der Künstler ist sich in erster Linie einmal selbst wichtig. Er tut, was er tun muss. Die Motivation eines Künstlers ist sein innerer Zwang, sich äußern zu müssen. Ein Künstler ist kein Pfarrer, kein Politiker, kein Botschafter, es ist nicht die Aufgabe der Kunst, Politik zu machen. Die Kunst tut es für sich. Ich singe für mich, und wenn ich es teilen kann und andere ähnlich empfinden, macht mich das gigantisch dankbar. Und ich bewundere dabei das Publikum, dass es der Kunst und dem Künstler folgen kann.

Frage: In Ihren Konzerten beenden Sie Ihren Auftritt oft mit dem Leonard-Cohen-Song "Hey, that{lsquo}s no way say goodbye". Was gibt Ihnen dieses Lied?

Van Veen: Dieses Lied liebe ich, weil es sagt, dass es keine Methode gibt, sich perfekt zu verabschieden, weil das Leben nicht dazu da ist, Abschied von einander zu nehmen. Und selbst der Tod ist für mich keine Form des Abschiedes. Ein Abschied ist eigentlich eine unmögliche Sache. Alle Menschen wissen doch, dass das, was du einmal geliebt hast, eigentlich das ganze Leben lang geliebt wird, weil das, was du geliebt hast, einmal ein Teil von dir geworden ist.

Frage: Ihr neues Lied "Ich weiß nichts über sie" klingt demgemäß nicht wie ein Abschied, sondern wie ein Beginn einer neuen Liebe...

Van Veen: Ja, aber ich möchte nicht wissen wie es weitergeht. Weil, wenn man wissen möchte, wie es weitergeht, hat man Erwartungen. Und wenn etwas mit Erwartungen zu tun hat, kannst du nur enttäuscht werden. In diesem Lied möchte die/der Liebende nichts wissen, nur den Moment genießen. Das Fenster soll offen bleiben, selbst wenn es kalt wird, der nächste Sommer kommt bestimmt...

Frage: Was bedeuten die Geige vor dem Kopf und der "kleine nackte Herman van Veen" auf dem Albumcover?

Van Veen: Die Geige stand mir immer im Wege. Ich wollte nie Geiger werden, obwohl man mir Talent nachsagte. Die Geige habe ich, vielleicht auch nur aus Trotz gegenüber meinem Lehrer, geradezu gehasst. Jetzt hat sich die Geige in eine große Liebe verwandelt, Herman hat das "Brett vorm Kopf" also erkannt, und fühlt sich wie neugeboren...

Das Gespräch führte CHRISTOF GRAF


Herman van Veen gastierte am vergangenen Wochenende an zwei Tagen in der Saarbrücker Congresshalle. Beide Konzerte waren ausverkauft. (Wir berichteten.)





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