mhw schreef 2 februari 2002 in de Schwetzinger Zeitung
Ein singender Genius stets mit dem Schalk im Nacken
Hermann van Veen macht auf seiner Welttournee Station
Acht Filme, 120 Plattenaufnahmen in fünf Sprachen, Kinderbücher,
Drehbücher, Zeichentrickfilme (darunter die inzwischen weltberühmten
Abenteuer des Alfred Jodocus Kwak), Träger des Louis David Ringes, von
der niederländischen Königin zum Ritter des Orden von Oranje Nassau
ernannt, Träger des Verdienstkreuzes am Band des Verdienstordens der
Bundesrepublik Deutschland, ausgezeichnet mit der Goldenen Kamera,
einem Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele, acht Edisons und
dem Prix d'Humanité - was sich liest wie ein mediales Wunder sind die
Früchte des bisherigen Lebenswerks eines ganz besonderen Künstlers und
Menschen, der am vergangenen Mittwoch auf seiner 14-monatigen
Welttournee Station in der Hockenheimer Stadthalle machte.
Herman van Veen wurde 1945 im niederländischen Utrecht geboren und hat
sich seit der Veröffentlichung seiner ersten LP im Jahre 1968 einen
Namen als genialer Künstler, bemerkenswerter Denker, lebendiger
Unterhalter, niveauvoller Clown und faszinierender Mensch gemacht -
und eine unüberschaubare Fangemeinde um sich geschart.
Was die Anziehungskraft vor allem des Sängers mit dem aparten Akzent
ausmacht? Es ist die besondere Mischung, die eben nur ein Herman van
Veen bieten kann. Nur ihm gelingt es, die Programm-Fragmente, die bei
bloßer Betrachtung überhaupt nicht zusammen passen wollen, zu einer
Einheit zu verkitten. Eben kaspert er noch herum, parodiert die
schrecklichsten Minuten seines Lebens in der Oper, wenn sich der
Heldentenor "von seinem Ego hinabstürzt mitten in seinen IQ" ("Wie
prächtig könnt die Oper sein - wenn es keine Sänger geben würde!"),
schwingt - mit einer Unterhose bekrönt - die Hüften im Caribean-Style
oder fummelt die Geigerin ab, dann setzt er eine heitere Anekdote
obendrauf, versteigt sich in einer wilden Drum-Session mit seinen
Musikern und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere wird er
ernst, sehr ernst und präsentiert "was ich dir singen wollte": Songs
für seinen Enkel, den "Kleinen Schatz", von dem er schon im
Säuglingsalter weiß, dass er einmal Elektriker werden soll, Titel für
all diejenigen, "die noch eine Mama haben", gesungene Gebete, vertonte
Luftschlösser und in Noten gegossene Gedankengebäude.
"Mozart war, als er genau so alt war wie ich, schon 20 Jahre tot!" -
treue Fans mögen es gespürt haben: Auch Herman van Veen ist älter
geworden. Das weiße dünne Haar ist spärlich, seine Klagen nicht mehr
so forciert, seine Lieder nicht mehr so anklagend. "Engel werden alt,
mein Freund, unvorstellbar alt", konstatiert er selbst und stellt für
sich fest, "Mit Liedern singst du den Krieg nicht zu Ende".
Was er sich aber bewahrt hat, was er sogar ausbauen konnte, ist seine
Weisheit, seine bewundernswerte Fähigkeit, Gedanken in Worte zu
kleiden, die ein jeder versteht. Herman van Veen ist nach wie vor ein
singender Genius, dem der Schalk im Nacken sitzt. Seine Botschaften
sind nicht einfach, sie klingen nur so; und am liebsten täuscht er uns
allen vor, dass er uns eigentlich nur unterhalten wollte: "Die
Wahrheit ist viel besser zu ertragen, wenn sie klingt". Aber er
unterhält nicht nur, er bildet, er erweckt, er lässt hinsehen und
nachdenken; und sein Publikum springt für ihn gern durch jeden
Gedanken-Reifen, den er ihm hinhält: "Sprich mit mir, niemand außer
dir kann mich verstehn".
Ebenbürtig an van Veens Seite seine vier Musiker, die nicht nur seine
Gedanken gekonnt in Töne umzusetzen verstanden, sondern die auch für
manche Blödelei zu haben waren: Die Violinistin Jann, Edith Leerkes
mit mal sanften, mal fordernden Gitarren-Klängen, Wieke Garcia an den
Percussions, gerne aber auch mal an der Drehleier oder an der Harfe,
und Erik van der Wurff am Flügel. Zu fünft bildeten die Spitzenmusiker
eine Einheit, aber auch einen Flickenteppich aus bunten Farben, ganz
nach Stimmung und Situation. Zu fünft haben sie den Hockenheimern
einen Abende beschert, der noch lange nachklingen dürfte, einen Abend
voll Witz, voll Menschlichkeit und voll Sinn, einen Abend für das Ohr,
das Auge, das Herz. Er hat getan, was er versprochen hat: "Ich will
Dich wiegen in meinen Armen und dir streicheln übers Haar". Vor allem
aber bescherte er einen Abend fürs Gemüt, "und plötzlich tut die Narbe
auf meiner Seele nicht mehr weh". mhw
© Schwetzinger Zeitung - 02.02.2002