Bernd Büttgens schreef 1 december 2005 in de Aachener Zeitung


Ein Mensch. So wie er sein sollte: menschlich




Herman van Veen, so vielseitig wie das Leben. Vielerorts engagiert, von den Problemen der Welt tief berührt: "Wir müssen die hungernden Kinder retten."

Von unserem Redakteur Bernd Büttgens

Kerkrade/Aachen. Der Mann ist keiner für die Schublade. Man kann ihn also nicht mit einem Satz beschreiben. Dieser Artikel reicht übrigens auch nicht.
Das vorab.
Was will er? Wer ist er? Der Blick in die Archive enthüllt die Fülle: Die, die bislang über ihn schrieben, nennen ihn Clown, Weltverbesserer, Moralist, Sänger, Tänzer, Poet, Entertainer. Sie haben alle Recht. Und seine Botschaft? Herman van Veen lacht. "Ganz ehrlich, ich habe keine Rezepte parat", sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung vor der Verleihung der Martin-Buber-Plakette in Kerkrade. "Es gibt keine Message, es sei denn diese: Der gelebte Tag ist reicher als jeder verbalisierte Gedanke daran." Und überhaupt: Für eine einzige Botschaft sei die Welt doch viel zu komplex. Da bedürfe es schon vieler Botschaften und messerscharfer Analysen. Seit drei Jahrzehnten hat Herman van Veen seinen Platz im Showgeschäft. Weil er sich nicht einordnen lässt, ist dieser Platz herausgehoben: die anderen und Herman.

Ein Nonkonformist, der über das Leben singt? Ein Zeitgeistverweigerer, der dem Publikum den Spiegel vorhält? Er zögert und lächelt. "Komm, vergiss es!" Diese eine Beschreibung gefällt ihm dann doch: "Ein Mensch, wie er sein sollte: menschlich."

Die Basis für alles Besondere an diesem Multitalent ist sein Können. Er ist exzellent ausgebildet, in Tanz, Gesang, an der Geige, er ist ein virtuoser Autor, der das entwaffnend gerade Wort spricht. Um noch besser zu sein, hat er sich mit anderen Könnern umgeben. Wer an den Pianisten Erik van der Wurff denkt und an die Gitarristin Edith Leerkes, findet diese These sogleich bestätigt.

Van Veens Herz ist sein Kapital. Darin liegt die Liebe zu den Menschen verankert. Ob Unicef-Botschafter oder Impulsgeber für vier eigene Stiftungen, die sich für die Kinderrechte stark machen: Der rastlose Romantiker macht immer weiter und kann nun, mit 60, auch gute Ernte einfahren, die er wiederum den hilfsbedürftigen Menschen weitergibt. Wie zuletzt bei seinem bewegenden Geburtstagskonzert in der Essener Philharmonie. Mit dem Erlös kann er nun in Gocht am Niederrhein ein Erholungshaus für schwerstbehinderte Kinder und ihre Eltern bauen. Es sind überschaubare Projekte, die van Veen anstößt. "Kleine Schritte müssen wir gehen", sagt er, "weltweit." Das Motto ist unumstößlich: "Es muss immer Hilfe sein, die nicht abhängig macht, Hilfe zur Selbsthilfe."

Die Aktivitäten sind verwirrend vielfältig, Herman van Veen überall, von daher sollte man gar nicht den Anspruch erheben, das von ihm Geleistete vollständig zu rekonstruieren. Viel wertvoller ist zu beschreiben, dass dieser Mann auch in der persönlichen Begegnung so ist, wie man sich das gewünscht hat: witzig, sprühend, melancholisch, nachdenklich und sehr aufmerksam. Er ist ein guter Zuhörer. Und ein ebenso guter Erzähler. Das erfährt man, wenn er den Krieg besingt. Dann spricht er von dem verzweifelten Bemühen der Mutter, ihren verschollenen Sohn zu finden. Wenn er den Hunger in der Welt thematisiert, haben die leidenden Kinder Namen. Das berührt.

Seine Richtschnur ist die Menschlichkeit. Und sie zu predigen, wird er nicht müde. Er verschafft anderen Gehör. Van Veen lässt ein Ensemble von Alltagsfiguren auftreten, denen er Respekt entgegenbringt. Es sind Menschen, die er ernst nimmt, deren Geschichten er erzählt, um damit beim Zuhörer Anteilnahme durch Nähe zu erzeugen. All das Leid, all die Freude, Geburt und Tod ­ van Veen spiegelt das Leben auf seine Art. "Ich habe mir nie etwas ausgedacht, ich habe mich immer nur erinnert. Mein Repertoire war immer:
Baum. Haus. Straße. Papa. Mama. Es war nie mehr als eine Welt, die es überall gibt."

Doch die Kunst alleine reicht ihm nicht. Er packt auch mit an. Weil ihn so vieles wütend macht. Etwa der Hunger in der Welt: "Nicht eine Schulklasse hungert da, sondern fast eine Milliarde Menschen. Das ist unvorstellbar viel. Dafür braucht man enorm viel Geld und Verstand. Aber wir müssen es doch gemeinsam schaffen können, die Kinder zu retten." Van Veen ist der Narr. Er spricht die klare Sprache, die man versteht, lehnt sich dabei ebenso gerne wie bewusst weit aus dem Fenster. Einer wie er nimmt kein Blatt vor den Mund. Alfred Jodocus Kwak, der kleine holländische Enterich, der Liebling aller Kinder und van Veens Alter Ego, tut das auch.
Sein "Papa" beschreibt ihn so: "Er ist der dumme August, der gegen die Willkür und korrupte Obrigkeit quakt, ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit."

Und woher nimmt Herman van Veen die Kraft, seine Geschichten immer weiter zu erzählen? "Das Vermögen, das ich besitze, ist die Erinnerung an meine Eltern", sagt er und wird ganz leise. Dieses Kapital gibt ihm die nötige Energie, "von diesem Punkt der Wärme aus sehe ich die Welt".
Dass der Vater von vier Kindern sein Leben als erfüllt und glücklich bezeichnet, wundert nicht. In einem Bauernhaus in Soest, einem kleinen Dorf in der Nähe seines Geburtsortes Utrecht, lebt er. Von dort aus steuert er zahllose Kulturprojekte seiner Firma Harlekijn sowie die caritativen Aktivitäten seiner Stiftungen.

Van Veen kann ausgelassen sein und fröhlich, aber auch traurig und sentimental. Ein großer Mann, ein empfindsamer Mann. Ein Künstlerleben auf dem schmalen Grat: zwischen Klamauk und Kunst, zwischen Melancholie und schrillen Tönen, zwischen Tränen und Heiterkeit. Seine Wirkung ist großartig. Einen wie ihn hat man gerne als Verbündeten.
Was sagt das: 140 Platten in fünf Sprachen, neun DVDs, rund 60 Bücher, TV- und Kinofilme, sein Alfred Jodocus Kwak, zwölf Theaterstücke, ungezählte Projekte für Kinder!? Das ist nicht mehr als eine Bestandsaufnahme, die schon morgen überholt sein wird. So kommt man ihm nicht bei. Sein Liedermacher-Kollege Heinz Rudolf Kunze sagt: "Er brennt, leuchtet, sendet, tobt."

Genug der Worte, man muss ihn erleben. Diesen sonderbaren, diesen wunderbaren Menschen.


QUELLE: AACHENER ZEITUNG - SEITE SPEZIAL; 1. Dezember 2005