Tom Bullmann schreef 1 november 1997 in de Osnabrücker Zeitung
Unvereinbares als Stil
Konzert mit Herman van Veen in der Stadthalle
Was ist dieser Holländer? Ist er Komödiant, Sänger, Weltverbesserer, Magier, Musiker,
Nörgler, Lyriker, Kabarettist oder betreibt er gar etwas, was heute unter dem Stichwort
Comedy gehandelt wird? Herman van Veen, ein wandelndes Fragezeichen. Die Frage nach dem
Wesen des Künstlers läßt sich kaum beantworten - er hat sicherlich von allem etwas.
Doch wie lassen sich die aufgezählten Facetten seines Künstlertums ohne Brüche und
Schriftstellern unter einen Hut bringen? Im Grunde überhaupt nicht. Das zeigte sich
während seines Auftritts in der Osnabrücker Stadthalle. Herman van Veen erhebt das
Unvereinbare zum Stil, arbeitet mit Gegensätzen, Divergrenzen und Provokationen.
Das macht seine Show interessant und kurzweilig.
Da entledigt er sich beispielsweise, um das Lied vom "Busen" zu singen, seiner
Herrntreter und schlükft in elegante Kroko-Pumps. Während er tuntig über die
Bühne stöckelt und einen Striptease andeutet, singt er über die Gefühle eines
Mädchens, ob groß, ob klein, das wird eine Überraschung sein. Bei einer
Popstar-Parodie, einem Sang der "really great composers Ham and Burger", passen
die Damenschuhe ja noch ganz gut ins Bild.
Zum optischen Kontrast werden sie allerdings spätestens bei seiner Ballade von 1977
"Ich lieb dich noch" oder dem Song "Nachbar", der das Motto für die diesjährige
van Veen-tournee liefert. Nachdem er erzählt hat, daß sich die unterschiedlichsten
Ausländer in seiner Nachbarschaft ansiedelten, beschreibt er, ausgelassen mit seinem
Saxophonisten Nard Reijnder tanzend, sarkastisch die Vorteile dieser Entwicklung
"Schöne schwarze Afrikanerinnen und schöne braune Brasilianierinnen" gäbe es jetzt
häufig zu sehen. Der Mann in Damenschuhen jubiliert, und um diesen skurrilen Eindruck
zu vervöllständigen, läßt er Negerpuppen an einem taufband über die Bühne ziehen.
Ähnlich konträr, fast kryptisch der Auftritt eines überdimensionalen Babys auf der
sparsam dekorierten Bühne. Mit einer kleinen Babypuppe im Arm lehnt van Veen sich ans
Riesenbaby und singt über die deutsche Einheit: "Ein nationales Erwachen."
Symbolisieren die unterschiedlichsten Babys die beiden Teile Deutschlands?
Leichte, fast populistisch-unterhaltsame Kost Richtung Comedy kredenzt van Veen nach
der Pause mit dem Beitrag "Der Rennfahrer". Doch die inhaltlichen Sprünge fressen
sich weiter,
führen von der Magier-Persiflage "Ben Alibi" zu den Folgen der "braunen Flut" in
Holland, er thematisiert Überbevölkerung, Armut, Ãltern, Fremd-sein, singt und
spricht über Religions-, Generations- und Geschlechtskonflikte: "Die Männer haben
den Krieg. Verlieren sie, bleibt noch der Sieg über das Fleisch der Frauen.
In Osnabrück begeisterte der 52jährige Niederländer das Publikum während der
zahlreichen Zugaben sogar mit der Interpretation der Schubert-Ode "Du bist die Ruh'"
und stets suchte er den Bezug zum Ort der Veranstaltung: "Ich hab' ein zärtliches
Gefühl, Osnabrück, denk daran."
Hermann van Veen wandelte sicher auf dem Grat zwischen Klamauk und Betroffenheitslyrik,
zwischen hehrem Anspruch und lauer Unterhaltung. Sein charmanter Witz, seine kraftvolle
Stimme und seine langjährige Begleitmusik (Erik van der Wurff spielte Piano) waren ihm
eine große Hilfe.
Tom Bullmann
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