Barbara Tahlheim schrieb in "Neues Leben" (ehemalige DDR) im April 1982




Clown ohne Maske


Ich kenne Herman van Veens Lieder schon lange, sie haben mich immer auf eigenartige Weise berührt. Die samtene Stimme, die klugen, geradezu sachlichen Arrangements, die ungewöhnliche Instrumentierung, die Wahl der Themen "Über die kleinen Dinge, die insgesamt die Welt sind" berichten van Veen Lieder.
Genau beobachtet manchmal bös und spöttisch, manchmal sanft aber niemals denunzierend.

Verstehen kann ich diese Lieder aber erst richtig seit ich Herman van Veen live erlebt habe. Seine Konzerte sind dreidimensional und spielen sich inmitten von Tausenden Zuschauern unter vier Augen ab. "Die Anziehungskraft der Erde" hieß sein Programm mit dem er Anfang April diesen Jahres im Palast der Republik gastiert.

Ein gutes Lied ist für mich so etwas wie aktive Lebenshilfe. Ein Lied, das froh und traurig macht, das Altbekanntes neu sehen, entdecken und durchdenken lässt, ein Lied, das nach Wahrheit sucht (auch wenn sie schmerzlich ist), das Kraft gibt und Mut.
Der Dichter-Sänger Herman van Veen aus Holland schreibt solche Lieder. Seine Kunst ergreift, berührt, befähigt, betrifft, stärkt.

Er studierte die Geige, aber er ist keine Geiger geworden. Er hat Lieder, Fernsehprogramme, Filme gemacht, hat Bücher geschrieben, aber er ist kein Liedermacher, kein Programmgestallter, kein Filmemacher, kein Schriftsteller geworden. Er sagt von sich, er sei ein Clown. Ein Clown ohne Maske.
Er macht Theater. Er sieht sich um, er ist überrascht, er denkt sich: Ja, wieso denn? - Und wenn er sich etwas fragt, dann beginnt er zu schreiben. So entstehen seine Lieder. Sie erzählen einfache Geschichten, und man kriegt beim einmaligen Hören gar nicht gleich mit, worin die Größe steckt. Wenn er ein Geheimnis hat, dann ist es dieses; Er sagt, der Mensch hat viel mehr Kraft, als man denkt. Wenn man Selbstvertrauen hat, dann kann man alles. Van Veen möchte Energie vermitteln, aktivierende Energie. Er ist sehr individuell, aber er isoliert sich nicht. Seine Konzerte sollen den Menschen Kraft geben. Kraft zu - wie er es formuliert - positiver Kollektivität.

Der Auftritt in Berlin war sein erstes Gastspiel in einem sozialistischen Land. Es hat Zuschauer und Künstler gleichermaßen beeindruckt. Die Zuschauer, weil sie einen Liedermacher erwartet haben, eben einen, der seine schönen Lieder vorsingt. Es kam aber Herman van Veen, der Parodist, Geschichtenerzähler, Imitator, Kabarettist, Pantomime. Und van Veen war über alle Maßen berührt von der Sensibilität seines DDR-Publikums: Da war Stille, mehr als Stille, Heiterkeit auch an Stellen des Programms, wo er sie vorher nie erlebte, da war Betroffenheit und Solidarität. Er gestand mir, dass er seit langem wieder richtiges Lampenfieber hatte.

Der Kontakt zu den Menschen, neue Freunde, ein realistisches DDR-Bild - wesentliche Dinge, die er durch sein Gastspiel bei uns gewonnen hat. Er möchte gerne wiederkommen.


Geboren wurde Herman van Veen 1945 in Utrecht. Am Konservatorium seiner Heimatstadt studierte er Geige und klassischen Gesang. Sein Musikstudium schloß er 1967 ab. Zu diesem Anlaß organisierte er mit einigen Kommilitonen eine Abschlussfete, bei der er schüchtern erste eigene Lieder vortrug und - weniger schüchtern - klassisches Liedgut parodierte. Zum Beispiel sang er ein Schubert-Lied im Handstand. Nach eigenen Aussagen lagen die Studenten unter den Bänken vor Lachen, während seine Gesangslehrer, um die Früchte ihrer Arbeit bangend, finster dreinblickten. Eine Idee war geboren: van Veen, der Parodist.
So entstand im Jahr seiner Abschlussprüfung sein erstes Theater-Solo-Programm, das zum größten Teil aus clownesken Nummern bestand.

1968 gründete er mit einigen Freunden "Harlekijn Holland", eine Organisation für multimediale Produktionen (Theater, Platten, Filme, Fernsehen, Bücher usw.). Seine eigenen Konzert-Programme liefen drei Spielzeiten unter dem Titel Harlekijn in Holland und Belgien. In der Zwischenzeit gibt es neun Programme, das letzte - "Die Anziehungskraft der Erde". In ihm geht van Veen mit allen ihn zur Verfügung stehenden künstlerischen Mitteln sein Thema an: MUT. Mut zur Liebe, zum Streit, zum Nein-Sagen, zum Selbstvertrauen; Mut zum Leben.

Seit 1968 ist Herman van Veen Botschafter der holländischen Jugend für die UNICEF (Internationaler Kinderhilfsfonds der UNO).

1977 gründete er mit seinem Freund und Manager Jost Taverne "Columbine", eine Hilfsorganisation für Entwicklungsländer, die Instrumente zur Geburtenhilfe verschickt und Hebammenausbildungen finanziert. Van Veen: "Ich finde, jeder Mensch sollte einen großen Teil seines Lebens für andere verwenden".