Michael Henkels schrieb 1982 in Musik Szene


Der Clown, der nicht mehr lachen kann - Herman van Veens Ansichten und Einsichten



Vor einen Dutzend Jahren stellte er sich im Amsterdamer "Carre", einem zum Theater umgebauten Zirkusgebäude, so vor: "Ich bin Herman van Veen, am 14. März 1945 geboren, wiege 72 Kilo, bin 1,82 m groß, habe hellblonde Haare, blaue Augen, eine dumme Nase und einen frechen Mund." Heute sagt er über sich: "Ich glaube, dass ich bin ein netter Mensch bin, sehr unsicher und dadurch sehr sicher. Vor allem bin ich jemand, der versucht, etwas aus seinem Leben zu machen, der fragt und davon erzählt." Da er sich auf sich selbst als "Experte von Herman van Veen" beschränkt, geht es im folgenden Interview nicht über die Clownesken der ersten Jahre, über höchst musikalische Parodien, über seine in Holland wie bei uns ungewöhnlich erfolgreichen Langspielplatten, über Serien für Kinder, TV-Programme und auch nicht über van Veens erfolgreiche Entwicklungshilfe in seiner Eigenschaft als UNICEF Botschafter in den Niederlanden. Van Veen spielt seit August en suite im ausverkauften "Carre" sein neues Programm, das er wahrscheinlich erst 1984 bei uns vorstellen wird. Für Januar 1983 plant das ZDF eine Personality-Show, und bereits jetzt liegen das zweite deutsche Buch (bei Rowohlt) und mit "Solange der Vorrat reicht" (bei der Deutschen Grammophon-Gesellschaft) das erste von vielen Alben vor, das ohne einen holländischen "Vorläufer" entstand.

Musik Szene: Warum gibt es so selten van-Veen-Interviews?
Herman: "Weil meistens der Background der Zeitung in dem durchkommt, was zitiert wird. Ob das eine linke oder eine rechte Zeitung ist, die Redaktion will meistens ihre eigene Meinung hören. Und so was hat kaum Zweck."

Musik Szene: Ist das nicht ein Vorwand?
Herman: "Nein, das passiert sehr oft. Und wenn das einem ein paar Mal passiert ist, dann sagt man sich: Okay was soll man da noch reden?"

Musik Szene: Worüber wird denn, wenn, geredet?
Herman: "Warum ich Kinder so liebe und in der UNICEF arbeite, über meine Art Entwicklungshilfe. Es geht fast nie über meinen Beruf als Clown, Sänger, über die Details. Es geht immer um Randinformationen." (van Veen gründete 1977 die Stiftung "Colombine", die statt Geld einfache Ausrüstungen für Hebammen und komplizierte Geräte für Ärzte verschickt. 1978 verloste van Veen zum Beispiel dafür unter seinen holländischen Konzertbesuchern eine seiner goldenen Schallplatten.)

Musik Szene: Die Firma Harlekijn, die van Veen, Harry Sacksioni und auch moderne E-Musiker produziert, Theatergruppen unterstützt und viel andere kulturelle Dinge treibt, was ist das eigentlich?
Herman: "Das begann vor 15 Jahren als Zusammenschluss von Freunden, die bestimmte Projekte realisieren wollten. Inzwischen sind wir wirklich ein Betrieb geworden, der , so nenn´ ich das immer, in der sozial-kulturellen Ecke sitzt."

Musik Szene: Was heißt das?
Herman: "Das alles, was wir tun, eigentlich ein direktes soziales Engagement, nie ein politisches hat. Das ist ein Prinzip bei uns. Ich weiß zum Beispiel nicht, was kommerziell ist. Unser Ziel ist Kommunikation. Was auch sehr groß klingt, ich weiß."

Musik Szene: Hat Harlekijn eine Message, da doch Unterhaltung allein vielleicht zu wenig ist?
Herman: "Ich kann nur von mir selbst reden. Ich sehe meine Arbeit in erster Linie als Entertainement an, und durchs Entertainement versuche ich, meine Vorstellung von der Gesellschaft zu vermitteln. Kein so penetrantes "ich weiß es", sondern ich weiß es nicht. Das ist die einzige Attitüde im Leben, dass man es nicht weiß. In meinen Augen ist das Nichtwissen das einzige Wissen, aber das haben auch schon tausend Leute gesagt. Doch das ist mein Gefühl."

Musik Szene: Aber die Philosophen unter den tausend Leuten haben´s nie praktiziert...
Herman: "Das ist der Unterschied, weil ich ein Praktiker bin. Ich bin ein Handwerker. Es ist doch so, dass man für die Sachen, die man sagt, verantwortlich ist. Ganz direkt. Und die existieren so lange, solange ich existent bin. Ich gehe davon aus, dass das, was ich auf der Bühne sage, auch privat sein muß. Sonst muß ich mein Maul halten."

Musik Szene: Entspricht das Nichtwissen eher dem Charakter des Niederländers als der deutsche Zeigefinger?
Herman: "Ich glaube, man muß verstehen, dass die Leute einfach nur versuchen, zu protestieren oder auf Sachen zu reagieren, mit denen sie nicht einverstanden sind. Ich finde das okay. Aber das Problem ist, dass das sehr schnell modisch wird, und dann läuft man in eine bestimmte Ecke, und man kann sich nicht mehr ändern. Dann wenn man einmal sagt, dass der X ein Armloch ist und man ist bei ihm zu Hause und sieht, dass der Mann auch Kaffee trinkt und auch nett ist zu seinen Kindern zum Beispiel, dann kann man nichts mehr ändern und wird sein eigenes Schlachtopfer. Ich glaube nicht an Systeme oder Philosophie oder an den Glauben. Ich glaube, das einzige wovon man etwas weiß, ist man selber. Man ist Spezialist darin. Man kann nur durch seine eigenen Augen sich in der Verantwortlichkeit sich selbst gegenüber manifestieren."

Musik Szene: Da gibt es aber doch das Schlagwort von der Clown-Power?
Herman: "Es ist nicht an einem Clown, der ich bin, zu sagen, wie man die politischen Verhältnisse gestalltet."

Musik Szene: Weil der Clown in der Politik schnell der Hofnarr wird?
Herman: "Und weil ein Hofnarr nur Entertainement für den König ist. Wenn er gute Sachen sagt, darf er bleiben, und wenn er schlechte Sachen sagt, wird ihm der Kopf abgehackt. Das ist nicht meine Position. Ich habe keinen König, für den ich arbeite."

Musik Szene: Interessieren sich nicht aber viele Leute für Politik, weil Politik mit Macht zu tun hat?
Herman: "Ohne Politik existiert unsere Gesellschaft nicht. Aber man muß auch kapieren, dass Politik Macht ist. Macht ist Geld, und Geld ist anonym (kleine Pause). Ich bin nicht anonym. Also hab´ ich nichts damit zu tun (wird immer leiser). Ich heiße Herman van Veen (lächelt). Darüber kann ich reden. In den zwei Stunden, in denen jemand in unsere Vorstellungen kommt, sind wir zusammen. Ich versuche, das, was mich beschäftigt, darzustellen, ob das wichtig ist oder nicht."

Musik Szene: Ist das Publikum stets das gleiche geblieben?
Herman: "In all den Jahren habe ich mein Publikum verloren und gewonnen, und das ging hin und her und hin und her. Dann habe ich wieder ein neues Publikum gekriegt, damals, als ich sagte, ich bin gegen Krebs. Da waren plötzlich Leute, die alle mit mir dagegen waren. Dann hab´ ich mir gedacht, man kann nicht gegen den Krebs sein, dann dann ist man gegen sich selbst. Dann habe ich gesagt: Ich bin gegen mich selbst. Dann waren alle die Leute weg und es kamen neue. So geht das. Ich kann gegen vieles sein und damit ein Riesenpublikum kriegen. Das hat mich aber nie interessiert. Dann wenn ich nach einem Konzert nach Hause fahre, dann bin ich allein, dann gibt es kein Publikum. Dann bin ich kaputt, todmüde und kann mit niemanden mehr reden. All die Leute sitzen hinter ihrem Cognac oder schmusen mit ihrer Frau oder machen weiß Gott was. Ich existiere nur noch als eine Erinnerung, als ein Traum, als eine Person, die sich veröffentlicht hat. Und die Leute haben rausgenommen, was sie gebrauchen konnten."

Musik Szene: Was waren eigentlich die starken Einflüsse von Musikern und Dichtern in Deinem Leben?
Herman: "Pergolesi, klingt merkwürdig, dass ich das sage, aber Pergolesi hat Kirchenmusik geschrieben, die mir Gänsehaut macht. Das war eine Revolution bei mir. Luis Bunuel mit seinen Filmen. Ich krieg immer noch was von dem. Chaplin, immer ein Mensch in Umständen, das interessiert mich sehr. The Beatles, weil das meine Generation ist. Mick Jagger, weil er das Dekadente hat, was mich interessiert. Mozart, okay, das brauch´ ich nicht zu erklären, was er bedeutet. Schubert wegen seiner Kompositionen, seiner Lieder. Ein Lied von Schubert, ob man das schön findet oder nicht, das ist in Ordnung. Das klopft von A bis Z, das ist in Ordnung. In der Literatur bin ich, glaub´ ich, am meisten betroffen von de Beauvoir. Wenn ich nicht rauskomme, dann lese ich ganz einfach eine Zeile von dieser Frau."

Musik Szene: Wenn du also erklärst, was Dich interessiert, welches Thema ist derzeit dringend?
Herman: "Ich versuche mich selber und die Leute sich zu erklären, damit es nicht noch weiter polarisiert. Polarisieren ist beinahe ein Ziel der Politik geworden. Dringend ist, dass man miteinander redet. Egal, ob einer Recht oder Unrecht hat, der andere muß wissen, was seine Frau denkt, was sein Freund denkt, so dass man etwas zusammen tun kann. Das Komplott des Schweigens der großen Massen, die es sich erlauben, nichts zu sagen, sondern abzuwarten, das ist unmöglich."

Musik Szene: Warum?
Herman: "Weil das Angst erzeugt. Es wird ständig Angst projeziert. Wenn ich kusche, kriege ich Kusche, wenn ich gebe, kriege ich, wenn ich heule, weint jemand mit mir oder jemand ist stark. Wenn ich Angst habe, kann jemand sagen, komm, hab keine Angst. Zeig dich in deiner Angst, zeig dich in deinem Glauben. Egal, aber zeig es. Sei nicht so verdammt vorsichtig, nimm dich selbst nicht so verdammt wichtig durch dein Schweigen."



Michael Henkels