W.H.Schmidt schreef eind oktober in freiepresse.de



Hut ab! Und alles kommt heraus

Herman van Veen macht mit seinem neuen Tourneeprogramm bei den Chemnitzer „Begegnungen“ in der Stadthalle Station

Herman van Veen in der Chemnitzer Stadthalle. Chemnitz. Hut ab! Es wäre gut, wenn alle einen aufhätten und ihn ziehen würden vor Herman van Veen. Aber auch das macht er selbst, und es ist nicht ohne Koketterie, wenn er in seinem jetzigen Tourneeprogramm „Hut ab!“ mit dem Publikum ein wenig seinen 6o. Geburtstag nachfeiert, den er im März hatte. Er stülpt sich gleich vier, fünf, ja sieben schwarze Halbzylinder übereinander auf die Glatze, um den putzigen Kopfputz hintergründig wieder zu demontieren und sich selbst ein bisschen Mut zu machen. „Es ist eine Sechs vor meine Nummer gekommen“, klagt er, „ich sträube mich gegen die Sechs.“ Aber das Publikum sträubt sich gegen seine Behauptung: „Meine Eigenheit geht vollständig kaputt durch die Sechs.“ Und er wäre ja nicht Herman van Veen, wenn nicht diese schöne leise Selbstironie immer wieder mitspielen würde.

Die kennen sich ja nun fast alle gut genug, er und sein Publikum. Mit seinen Hüten war er nun am Donnerstag bei den „Begegnungen“ auch wieder am alten Ort, in der Stadthalle, „in Chemnitz und in Karl-Marx-Stadt“ erinnert er und hilft seinem Publikum nachzurechnen: Vor 35 Jahren gastierte er das erste Mal in Deutschland, und es lässt sich denken, dass im Großen Saal treue Anhänger sind, die noch von damals dasitzen könnten. Wer ihn ins Herz geschlossen hat, behält ihn für alle Zeiten.

Also, Herman, mach uns keine Angst, nichts ist kaputt gegangen, im Gegenteil. Nie war ein Programm so gut, aber das haben wir ja immer so empfunden, von Mal zu Mal. Und das hören wir nun besonders gerne in diesem Lied vom Spiegelbild – „Weiter so, mit Witz und Mut, manchmal mit gerechter Wut, alles unter einem Hut, was da in dir brütet.“ Das Spiegelbild verneigt sich, und die Hüte fallen.

Der einzige von der alten Garde seiner Musiker ist Erik van der Wurff, der Pianist, Komponist, Arrangeur ist von Anfang an an van Veens Seite. Seit 43 Jahren sind sie gemeinsam auf den Bühnen und in den Studios. Sonst hat sich die Band verjüngt und erneuert. Edith Leerkes, Jannemien Cnossen und Wieke Garcia, sie sind alle drei exzellente Solistinnen und Sängerinnen, und mit Oleg Fadeev hat sich van Veen auch einen ausgezeichneten Akkordeonisten verpflichtet. Man hat den Eindruck, dass die Musik dieses Van-Veen-Programms noch vielfarbiger, ausgefeilter und sehr virtuos auch geworden ist. Ausdrucksstark und immer genau auf der Höhe der poesievollen Liedtexte ist sie sowieso, reich an originellen melodischen und harmonischen Erfindungen. In den reinen Instrumentalteilen, gelegentlich auch in den Song-Begleitungen, lehnt sich das Programm stark an Folklore an, balkanische, jiddische, russische. Und wenn Herman van Veen seine akrobatischen Nummern als Musicalclown abspult, etwa ganz zum Schluss mit einer Rock-Sound-Parodie oder mit den „fünf Preluden“ seines Freundes Paul Chorutowski oder so ähnlich, dann wackeln sowieso mehr die Wände als die Saiten und Tasten. Außer beim Alfred Judokus Kwak, ach, da hat der Meister eine schöne Story parat. Ein kleines Mädchen aus Chemnitz schrieb ihm einen Brief, er möge doch bitte, bitte, ihrem Opa im Saal singen „Warum bin ich so fröhlich...“ Ja, er sang natürlich, und tanzte die Ente, und es sah so aus, als müsse sie nun lange Zeit hinter Anti-Grippe-Gitter.

Van Veen lässt nichts unbeschönigt, seine Texte engagieren sich pointiert und manchmal in jähen poetischen Kontrasten gegen Krieg und Kinderelend, Betrug und Fremdenhass. Er besingt die Liebe und die Trauer, er macht jähe Witze und lässt Ping-Pong-Kugeln und Flitter regnen. Mit der Sechs davor hofft er auf noch viele Zugaben, denn mit 102 will er Tango tanzen lernen. Als Zugabe war hier fast noch ein Extra-Programm zu erleben, und alles passte zusammen. Der gute Herman kriegt ja doch alles unter seine Hüte. Hut ab! Und alles kommt heraus.

Von Reinhold Lindner © Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG