Maria Schwarz schreef in september 1997 in Bild der Frau

Ein singender Clown und Poet zeigt uns den Weg zu mehr Glück mit dem Nachbarn und Frieden in der Welt



Herman van Veen: „Du bist nicht schön, du bist anders schön"

„Glücklich sein heißt
keine Angst haben ...
das gelingt aber nur,
wenn wir einander und
uns selbst kennen, achten
und vertrauen lernen ...
wenn wir unsere Sorgen,
unser Glück, unsere
Ängste teilen können."

Herman van Veen [Aus: „Die Welt teilen"]



Bild der Frau: Sie sind wieder auf Tournee - was heißt ihr Titel „Nachbar"?

Herman van Veen: „Ich bringe alles auf die Ebene eines Dorfes, einer Straße. Weil ich glaube, davon habe ich Ahnung. Ich beschreibe das Leben ein bißchen aus meiner Sicht: Als Kind, als Mann, als Vater. Und ich versuche, auch die anderen Perspektive zu zeigen. Z. B. in dem Lied „Fatima" beschreibe ich, wie eine islamitische Frau uns so erlebt. Dazu bin ich buchstäblich in so einen Schleier geschlüpft. Und das ist ganz merkwürdig: Wenn du in so einen schwarzen Kokon verpackt durch die Straßen gehst, siehst du alles ganz anders. Wie wir so leben mit unseren Körpern ...Diese Andere ist nicht besser oder schlechter. Es ist nur anders. Ich spezialisiere mich in meinem Beruf mehr und mehr auf das Wahrnehmen von Unterscheiden. Das ist für mich eine richtige Kraftquelle! In meinem Konzert sehe sich mich selbst als eine Art Clown. Ich zeige die ernste Seite, aber auch die spielerische, wenn ich über ein Haus, eine Frau, einen Sohn singe. Und am Ende singe ich über einen Schaukelstuhl - weil das ist sozusagen das Gemeinsame, die Todessituation, in der wir alle mal landen. Und ich finde, die Arroganz liegt darin, daß viele Leute leben, als ob sie nie sterben ..."

Haben Sie Angst vorm Tod?

„Riesenschiß natürlich! Aber ich versuche, ihn als Faktum zu akzeptieren. Der Dalai Lama hat mir mal gesagt, daß es den Tod nicht gibt. Das hat mir sehr geholfen. Aber ich bin ja nicht allein: Das, was ich liebe, ist ja auch ein Teil von mir! Ich kann ja nicht an den Tod denken, ohne zu realisieren, daß meine Tochter dann weinen muß. Oder andere, die wahnsinnig gern habe. Das hat auch mit der Angst vorm Tod zu tun. Ich hab’ einen Riesenschiß, Dinge zu verlieren, die mir am Herzen liegen. Da hab’ ich Schmerzen und Angst, wahnsinnige Angst ..."

Ihr Rezept fürs Glücklichsein mit „Nachbarn"?

„Ganz einfach: Die Unterschiede respektieren! Ich habe ein Lied, das geht: Du bist schön, nicht schöner , du bist anders schön ... Und so versuche ich auch, meine Mutter zu verstehen - schon seit 52 Jahren. Ich sage: Mama sagt das so, wie ... Sie macht z. B. immerzu sauber. Ich habe lange nicht kapiert warum. Aber meine Mutter hat mit 15 Leuten in einem Zimmer gewohnt - das wäre sonst ein Misthaufen geworden! Und: Mein Vater liebt es, einen Schnaps zu trinken. Warum? Der hat sein ganzes Leben gehört: Jan, nimm noch einen! Von meiner Mutter. Denn ihr Vater trank unwahrscheinlich viel, der trank den ganzen Rhein leer. Mein Vater hatte nichts zu tun mit ihrem Vater. Und doch hat es sein Leben lang gehört: Jan, nimm noch einen! Wenn du das hörst, denkst du erstmal, Mama, laß ihn doch! Aber wir müssen die Geschichte von einer Sache kennen. Nur dann können wir sie begreifen und was verändern. Deswegen muß der Zweite Weltkrieg immer wieder erklärt werden, damit wir nicht in denselben Scheiß rennen!

Wo sehen Sie heute die Gefahr eines dritten Weltkrieges?

„In China - wegen der gewaltigen Arbeitslosigkeit. Die einfachste Lösung, die zu bekämpfen, ist die Waffenindustrien. Das war immer so. Der Wahnsinn ist: Arbeit wird falsch bewertet - als „höchstes Ziel". Aber das ist sie nicht! Wenn du nicht arbeitest, bist du ein unnützer Idiot. Das ist falsch. Und höchst gefährlich: Wir müssen einen Arbeitslosen in seine Situation respektieren. Die Geschichte lehrt uns, daß eine Armee Arbeitsloser Apathie bedeutet. Und Apathie produziert negative Kräfte, Typen, die schlechte Lösungen bieten ... Das ist die größte Bedrohung unserer Gesellschaft - auch in Europa: Desinteresse, Apathie."

Wie kriegen wir die weg?

„Wir müssen ein kollektives Bewußtsein entwickeln. Immer mehr Menschen müssen immer mehr Zusammenhänge klar sehen. In der Politik wie in der Familie, die Medizin, der Natur. Um Beispiel das Hochwasser - mitten in Europa. Eine Ursache ist, daß der Lauf des Flusses einfach nicht respektiert wurde. Dabei hat er doch viele Jahre gebraucht, um genau diese Form zu finden, in genau diesem Tempo zu fließen! Und so stehen wir plötzlich bis zur Brust im Wasser und sagen: Wie kann denn das passieren? Wir können heute durch etwas bedroht werden, was wir zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr unter Kontrolle haben. Mein Krebs oder dein Krebs beginnt irgendwo, wo du nie daran gedacht hättest. Irgendein Umwelteinfluß löst irgendeinen Fehlalarm in deinen Körper aus - und du hast ihn! Ich habe gerade etwas geschrieben: Ich bin, was ich gegessen habe, was ich gedacht, was ich gesehen habe. Ich muß realisieren, daß das, was ich esse, meine zukünftige Krankheit sein kann!"

Sie essen kaum noch Fleisch ...

„Nicht dogmatisch. Ich habe nichts gegen McDonald’s. Aber du mußt verstehen: Du ißt ja nicht nur eine tote Kuh. Du frißt ja auch ein paar tote Bäume. Denn die Kuh hat in Argentinien gegrast, wo vorher der Regenwald war. Und diese Information kriegen wir nicht. Es ist schon schlimm genug, eine tote Kuh zu essen. Wenn du siehst, wie wahnsinnig schöne Augen die hat ... Aber warum schreibt McDonald’s nicht auf seine Tüten: Das war Annabella, Kuh Nr. 624 000, und die kommt aus Argentinien, und das was früher ein Regenwald. Wir können doch nicht leben ohne diese grüne Lungen! Und das ist die Zukunft, daß wir alle Informationen mitteilen ... Und wir müssen klar erkennen: Ich kann mich aus mir heraus allein nicht entwickeln. Ich kann erst was über mich lernen, wenn ich dich sehe. Was du erfahren hast an Schönheit, ist meine Zukunft. Deine Liebe ist meine Liebe."

Sind Sie religiös ?

„Ich glaube nicht."

Aber Sie handeln so.

„Also ich habe riesigen Respekt vor allem, was ich nicht versehe. Vor der Natur, die ist mir absolut das Wichtigste. Und ich empfinde mich als Teil von dieser ganzen Zelle Erde. Ich bin nicht anders als all die anderen hier. Wenn irgendwo weit weg etwas stattfindet, weiß ich, daß das auch ich bin, daß das auch mich angeht. Ich weiß nicht, ob das religiös ist. Aber das Leid, das andern passiert, geht mir gigantisch an die Substanz."

Wer die Menschen so liebt wie Sie ...

„Ich bin nicht sicher, ob das Liebe ist, aber das ist ein Wahnsinnsinteresse!"

Aber Sie teilen ...

„... das ist das Schlüsselwort!"

Und das ist Liebe!

„Mann kriegt auch wahnsinnig viel zurück! Wichtig ist aber, daß man keine Erwartungen hat. Überhaupt keine! Und wichtig ist, daß ich jetzt in diesen Schuhen Größe 43 stecke und mit dir plaudere. Und daß mich nicht beschäftigt, was nach diesem Gespräch ist oder vorher war. Wenn ich auf eine Bühne gehe, bin ich da und nirgendwo sonst. Wichtig ist auch, daß man das, was man fühlt, respektiert. Es gibt so viele Signale in mir, die sagen: Herman! (pfeift). Herman! (pfeift anders), Herman! (pfeift wieder anders). Und dann darf man nicht weitergehen. Du wirst nicht umsonst angerufen. Du sollst dir Zeit nehmen, zu verstehen: Warum kommt das Signal JETZT - nicht in zehn Minuten oder vorgestern? Dafür gibt es einen Grund, den soll man verstehen. Das Gefühl ... also da ist ein Bewußtsein, das ist so gewaltig und so grandios ( schaut nach oben)!! Wir brauchen nur da reinzusteigen, um angeschlossen zu sein ..."

Was ist das - der Himmel? Engel? Gott?

„Das ist ES - das ist alles! Alles hat ein Bewußtsein. Ein Stein auch. ES denkt ... ES steckt überall ... Und ES antwortet. Wenn du eine Frage hast, mußt du nur den Mut haben sie echt zu formulieren. Und du mußt ES fragen! Nicht dich, deine Frau, deinen Mann, du mußt ES fragen! Und dann bekommst du auch eine Antwort. Es ist einfach so!"

Was halten Sie von der Kirche?

„Wenn man Gott ehren will, gibt man einem Baum Raum. Und einer Frau. Und man respektiert den anderen. Und was hat die Kirche gemacht? Die haben solche dicken Mauern gebaut. Für was? Um diesen Gott des Lichtes weg von uns zu halten? Wenn ich über ES spreche, spreche ich von Licht. Wenn ich müde bin oder traurig, denke ich mir Licht in meinen Kopf. Die Leute sehen, wenn sie sterben, Licht. Und sie sehen das erste Licht, was sie als Baby gesehen haben. Das tut so gut. Diese Neugeborenen - Erinnerung ... Und was haben Kirchen - Menschen getan? Sie haben uns Angst gemacht: Du kommst nur nicht in diese schlimme Hölle, wenn du zu uns beten kommst. In dieses Haus Gottes. Aber es ist nicht das Haus Gottes! Es ist ein Haus Gottes. Ohne Grenzen, ohne Steine. Wo alles das Recht hat, zu sein, was es ist. Mit Respekt für die Ameise.

Sie haben mal gesagt: Erst Angst ermöglicht Macht.

„Ja, schrecklich. Das passiert überall: Wenn du nicht, dann ... Das gibt’s zwischen Mann und Frau, in der Politik, in der Schule, in der Nachbarschaft - eine Art stiller Mordversuch. Die „Machthaber" haben uns immer geschickt suggeriert, wir müßten uns fürchten. Dann bieten sie uns Hilfe an: Armee, Kirchen, Banken ... Wir müssen die Macht transparent machen. Dann werden wir erkennen, daß die eigentliche Macht bei uns liegt."

Sie haben als Künstler die Möglichkeit, Bewußtsein zu verändern.

„Aber es beginnt bei meinem eigenen Bewußtsein! Nur wenn ich den Mut habe, mein Unglück, meiner Ohnmacht, meine Angst, mein Glück zu besingen, hast du eine Chance! Ich kann dir nichts klarmachen als Künstler, ich kann dir nur was zeigen. Weihnachten z, B. erzähle ich in der Kirche die Weihnachtsgeschichte. Auf meine Weise. Ich erkläre , daß Maria und Josef Flüchtlinge waren. Und Jesus das Kind von Flüchtlingen. Ich brauche nicht zu protestieren. Ich brauche nur zu zeigen, daß der Messias so war wie heute ein Sohn von Türken, von Iranern - das Kind von Flüchtlingen. Dieses Jahr machen wir das im „Colombine" - Haus."

„Colombine" - Haus?

„Das ist in der Nähe von Utrecht - ein Haus für Kinder aus der ganzen Welt, die Schlimmes erlebt haben. Krieg, Mißbrauch, Flucht. Sie können Tage, Wochen oder länger bleiben. Ich will, daß sie bei uns eine gute Erfahrung machen und mit einem besseren Gefühl zurück in die Welt gehen. Wenn du einmal einen richtig guten Kuß gekriegt hast, hast du Lust auf einen neuen Kuß. Und wenn dir immer in deine Lippen gebissen wird, muß sich niemand wundern, daß auch du jemand in die Lippen beißt."

Sie haben 1975 „Colombine" mitgegründet. Wenn hilft die Stiftung?

„Wir begleiten und finanzieren Hilfsprojekte in Europa und Entwicklungsländer. Oft kleine Sachen mit großer Wirkung,. Wir gucken vor Ort, was die Menschen brauchen, um sich selbst zu helfen. Wir bauen zum Beispiel keine Brunnen. Sondern geben ihnen das Werkzeug und das Know -How, um selbst einen zu bauen."

Als Botschafter von UNICEF haben Sie erlebt, was Europäer in der Dritten Welt oft falsch machen ...

„Ja. Z. B. wollen wir an einem Ort Strom erzeugen. Also bauten wir ein Wasserwerk. Schöne Sache. Aber: In dem aufgestauten Wasser bildeten sich jede Menge Bakterien. Der Strom für den Kühlschrank, den sie noch nicht hatten, funktionierte - aber alle, die das Wasser tranken, bekamen schlimme Diarrhöe ... Wir müssen die echten Bedürfnisse desjenigen, dem wir helfen wollen, erkennen und respektieren. Auch Wünsche, die uns dumm scheinen. Denn unsere Augen betrügen uns. Es gibt immer auch eine andere Realität. Und wir haben nicht das verdammte Recht, zu denken, daß wir’s besser wissen! Wir sind nicht aufgewachsen in Familien mit 20 Kindern. Wir gehen nicht barfuß, wir tragen Schuhe. Deswegen spüren wir die Erde nicht mehr. Zivilisiert? Im Gegenteil! Durch Reflexionen - Massage weißt du: Wer barfuß geht, massiert den ganzen Tag seinen Körper!"

Wie sehen Sie die Zukunft?

„Hoffnungsvoller als vor 10 Jahren! Inzwischen hat sich doch eine unwahrscheinliche Revolution abgespielt! Auf allen Ebenen. China - ein Viertel der Welt! - ist dabei, seinen roten Mantel abzuwerfen, die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Konntest du dir das vor zehn Jahren vorstellen? Deutschlands Wiedervereinigung? Das Ende der Apartheid in Südafrika? Und dann das Tempo der Kommunikation! Wenn Hillary Clinton morgens etwas fühlt in ihrer linken Brust, weiß ich es abends beim Essen. Wenn jemand in irgendeiner Ecke der Welt größenwahnsinnige Gedanken hat, kann er nicht mehr in aller Ruhe eine Armee aufstellen - und wir müssen uns eines Tages wundern, wo kommen denn diese ganzen Deutschen her? Alles ist sofort transparent. Das ist ein Riesenfortschritt! Die Technologie macht die Erde kleiner. So können wir sie endlich als Einheit sehen. Ich glaube auch, daß weltweit eine demokratische Entwicklung stattfindet."

Wie können wir Europäer dabei helfen?

„Indem wir unserer Gesellschaft nicht mehr als Vorbild sehen. Solange wir unsere Art von Leben als höherstehend ansehen, haben wir alle langfristig überhaupt keine Chance zu überleben!"

Wie soll sich das Bewußtsein wandeln - Macht und Geld beherrschen die Welt - immer schlimmer!

„Ich sag’s dir jetzt was Komisches: Die Alten werden uns retten! Eine immer längere Periode in unserem Leben sind wir alt. Und ältere Leute haben nix am Hut mit Macht und Geld. Und da liegt unsere Zukunft. Immer mehr ältere Leute kriegen immer mehr politischen Einfluß."

Macht das viele Denken Sie manchmal einsam?

(Längere Pause) „Einsam ist nicht das richtige Wort. Allein ... Aber ich hab immer im Leben jemandem getroffen, der sich für mich interessiert und mir geholfen hat. Das ist super! Daß du immer wieder Menschen triffst, die du nicht mehr verlieren willst. Die dich total verstehen. Wo du den Mut hast, morgen wieder aufzustehen."

Und wenn es so ein tiefes Verständnis nicht gibt?

„Dann sitze ich da im Dunkeln am Fenster und frage mich nur noch, wo das Schiff herkommt, daß ich gerade im Hafen sehe. Dann sehe ich nur ein Stück Mauer und denke, whow, alle diese Steine sind verschieden, obwohl sie alle gleich sind. Und dann verliere ich mich in Detail, ins nächste und nächste ... Und dann stürze ich in meinen Körper und bin völlig weg. Nicht ansprechbar. Verloren, ohne verloren zu sein ... Das kann zwei Tage dauern."

Was singen Sie am liebsten?

„Was ich erlebt habe. Oder was ich eigentlich nicht den Mut habe zu erzählen (lacht). Und dann singe ich etwas über die Frau, die ich gern hätte oder hatte. Und während ich singe, frage ich mich: Warum erzähle ich das? Und plötzlich sehe ich mehr. Ich begreife Dinge aus der Vergangenheit neu. Z. B. meine Mutter. Sie wird immer schöner, klarer und wichtiger für mich. Früher habe ich sie aus einer Art Verteidigungshaltung heraus gesehen. Ich mußte ihr beweisen, daß ich gehen konnte. Das ich essen konnte, daß ich denken konnte, daß ich selber wußte, wie spät es war. Und jetzt erst - wir sind oft zusammen, und das ist so super! - realisiere ich: Herman, du hast es damals so gesehen, aber du hättest es auch so sehen können."

Was ist für Sie Liebe?

„Freiheit! Grenzenlos! Wenn man keinen Funken Angst mehr hat! Das ist doch gewaltig - das ist für mich Liebe. Bei meiner Mutter zum Beispiel - da bin ich 100 Prozent sicher, daß sie mich mag."



Maria Schwarz tekst






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