Wolfgang Krause, Raban Ruddigkeit schreven in September 1993 in Zeitschrift KREUZER

„In mir erkennst du dich"

Herman van Veen:
Sänger, Musiker, Engel



KREUZER: In den Konzerten beherrscht du den Seiltanz zwischen traumtänzerischer Naivität und abgrundtiefem Zynismus, zwischen Poesie und Pornographie. Diese Komponente vermißt man auf den LP’s. Warum?

VAN VEEN: Eine CD ist auditiv - sie ist nur zu hören. Das beschränkt enorm. Wenn du eine CD hörst, sind auch noch andere Dinge im Raum, das ist Monoinformation. Wenn du einen Raum so schwarz machst, das du nur mich hörst, möchtest du weg. Wenn du mich in der Disco hörst, geht die Disco weg. Im Konzert siehst du meine Beine, siehst mich spuken und schwitzen. Ich bin nicht jemand, der einen Teil von sich exportiert. Wie Mick Jagger, dessen Gesicht mittlerweile eine Kombination von Arsch und Lippen geworden ist. Das ist ein anderer Job. Ich komme vom Bahnhof, gehe in mein Hotel und flippere zwischen 25 Fernsehkanälen hin und her. Ich sehe einen Schwanz in ein Ohr verschwinden, sterbende Kinder in Somalia, Johann Strauß.

KREUZER: Wie weit, glaubst Du, kann man als Künstler in Politik hineingehen ?

VAN VEEN: Wenn ich einen Politiker sehe, weiß ich, daß ich nur ein Drittel der Wahrheit mitgeteilt kriege. Wie ein Eisberg, dessen unsichtbarer Teil unsere Apathie ist. Weil wir uns nicht mehr vertrauen. Politiker spielen die Schlachtopferrolle nur, solange die Kamera läuft. Wenn die Kamera weg ist, sind sie wieder die Chefs. Ich habe nicht viele Politiker kennengelernt, die ein Ideal besitzen, die haben nur Ziele. Es gibt überhaupt nur wenige Menschen mit einem Ideal. Meist sind das Künstler, Frauen oder sehr weibliche Männer.

KREUZER: Welches Ideal besitzt Du?

VAN VEEN: Meine größte Vision ist, mir ein paar Menschen, die ich echt liebe, in einen Wald zu gehen. Die Bäume zu sehen und zu sagen: Es ist wieder Herbst. Mehr nicht, glaube ich. Und dann denke ich: Vielleicht können wir uns sterben erinnern, daß wir geboren sind. Das Licht, das wir sehen, wenn wir geboren werden, ist das Licht, in das wir gehen, wenn wir sterben. Wir werden neu geboren. Dieses Licht spielt eine gigantische Rolle, denn es ist die erste Erfahrung, die wir machen. Es ist sehr vielversprechend, so vielversprechend, daß das Leben eine Enttäuschung wird. Es ist aber auch schön, daß du soviel Negatives kennenlernst, daß es die Mühe lohnt zu leben. Ich wünsche jedem Schmerz, weil wenn wir nur fernsehen, sehen wir jemanden in 4 Farben krepieren. Danach essen wir unsere Suppe weiter.

KREUZER: Gibt es neben der privaten eine gesellschaftliche Vision?

VAN VEEN: Eine Metapher: Das Erstaunliche an dieser Woody- Allen-Geschichte ist, das er nur Filme gedreht hat über solche Dinge, und die Welt hat immer gedacht, der Mann hat ’ne reiche Phantasie. Entschuldige, aber - Phantasie gibt’s nicht. Man kann sich an was erinnern. Mia Farrow ist die Witwe von der Mafia, Sie heiratet als nächstes den Helden der Intellektuellen. Das hat weniger mit Liebe zu tun als mit Karriere. Die Medien stürzen sich auf diese unsichtbare, grandiose Dramaturgie. Und dann schreibt dieser Sohn in einem Brief an Woody Allen: „Warum bringst du dich nicht um?" Ich bin auch Vater, aber ich habe noch nie ein Kind sagen hören „Warum bringst du dich nicht um?". Mich fragen dann Journalisten, wenn du Ich singst, meinst du dann auch dich? Was für eine Frage - ich kann nur über mich singen. Und ich hoffe, ich habe den Mut, weiterzugeben und etwas zu sagen. Wenn ich auf der Bühne mit Erik tanze, dann liebe ich diesen Mann. Ich sehe seine Muttermale, aber er ist so schön wie Gott. Und in dem Moment kann man mich homosexuell oder protopinzuell nenne oder pampampam - ich liebe diesen Mann. Und dann singe ich „Du oder Du".

KREUZER: Deine ersten Lieder handelten von einer großen Sehnsucht. Wieviel ist davon noch übriggeblieben?

VAN VEEN: Im Gebirge von Los Angeles habe ich einmal eine Frau getroffen, die ich nicht kannte und die ich doch kannte. Da waren 700 Meter zwischen uns, und ich habe sie mir so gewünscht und sie mich auch. Da wurde das Nichtgesagte gesagt, und wir haben uns dann vielleicht 40 Minuten nur festgehalten. Solange du das erleben kannst, ist deine Welt katastrophal, phantastisch. Dann stürzt deine Welt zusammen, und das beste ist das Beste was es gibt. Sehnsucht ist das, was wir in Holland das verlorene Paradies nennen. Wir wissen, daß wir in der Lage sind, Engel zu sein. Ich sage dazu: I’ m halfway in heaven, Ich bin halbwegs im Himmel und befinde mich mitten in der Hölle . Ich will nur versuchen, diesen Himmel in die Hölle zu schieben. Wenn ich von meinem Hotel in die Hochschule der Künste wandere, sehe ich soviel Scheiße, daß ich diesen Weg eigentlich nicht gehen kann. Aber ich treffe auch diese Frau, die mir zuwinkt, und ich habe dieses schöne Buch gelesen, von Heinrich von Dingsbums. Und dann gehe ich glücklicherweise auf diese Bühne, die ich mir organisiert habe. Es ist nicht so, daß mich irgend jemand einlädt, irgendwo aufzutreten. Ich muß mir eine Bühne kaufen, sonst gibt’s mich nicht. Du mußt die Kuh selbst ficken, weil - keine Kuh lädt dich ein.

KREUZER: Wie hat sich dein Theater verändert? Möchtest du manchmal schärfer sein?

VAN VEEN: Gesten nacht habe ich ein Video von Ute Lemper gesehen. Das sage ich, weil ich denke, daß wir nur noch in Klischees miteinander kommunizieren. Was ich versuche, ist, alle Klischees zu vermeiden. Madonna gibt es, weil sie eine Legierung ist von Marlene Dietrich und Marilyn Monroe. Sie ist eine Form, die von Publikum und Medien gern benutzt wird, weil man sie erkennt. Es wird schwieriger, wenn du es nicht erkennst - und mich erkennst du nicht. In mir erkennst du dich.
Es gibt tausend bessere Kabarettisten als mich und noch bessere Sänger. Diese Leute besitzen die Fähigkeit, sich einzuzoomen. Ich weiß so wenig von Politik und deshalb so viel, daß ich kein seriöser Partner bin für Politiker.

KREUZER: Gibt es etwas, das du richtig haßt?

VAN VEEN: Leute, die sich zwingen zu schweigen. Ihre Zähne sind verrottet, und stinken.

KREUZER: Kann man nicht auch Leute hassen, die nur reden?

VAN VEEN: Ja, aber wenn man redet, ist das schon befreiend für die Person, die spricht. Schweigen ist implodieren. Diese Menschen kriegen rote Köpfe, und ich fühle mich dann immer wie ein Baby.

KREUZER: Gibt es eine Frage, die du dir selbst stellen würdest?

VAN VEEN: Die Frage, die mir noch nicht gestellt worden ist, lautet: Bin ich ein Mensch? Und ich bin sicher, daß ich kein Mensch bin. Ich kann mich mit Menschen nicht identifizieren und legitimieren, daß ich ein Engel bin. Ich habe Flügel aus Markscheinen. Man kann mit Geld fliegen, sagt man - das ist ein Mißverständnis. Je mehr Geld du hast, desto ängstlicher wirst du.

KREUZER: Du gehst in einem deiner Bilder ins Publikum. Wie kommst du mit dieser Realität klar?

VAN VEEN: Dieser kurze Weg durchs Publikum ist wahnsinnig wichtig. Da sitzt ein Mann, der mich nicht mag. Der sieht mich und blickt zu Boden. Es sind immer die Jüngeren und Älteren, die mich mögen. Das Zwischengebiet sucht keine Kommunikation. Die suchen Formen.
Aber was ich verstehe, interessiert mich nicht. Das ist auch Teil meiner Dramaturgie. Dem zu vertrauen, was ich nicht verstehe.


Interview: Wolfgang Krause, Raban Ruddigkeit - September 1993 - Zeitschrift KREUZER



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