Cordula Bischoff schreef in februari 1993 in de Magdeburger Volksstimme
Herman van Veen - ein „hellwacher Träumer"
Interview - Termin mit Herman van Veen in Düsseldorf. Und da gibt es schon mal
bei uns Journalisten dieses Kribbeln im Bauch, schließlich trifft man nicht
alle Tage einen Weltstar. Und das ist der 49jährige Holländer zweifellos, ist
er doch auf den Bühnen in Rom, in Paris, in Düsseldorf genauso zu Hause wie in
Amerika - van Veen ist ein Weltenbummler der Musik.
Und er war auch in der DDR zu Gast - dreimal in den 20 Jahren, die er jetzt
auf Tour ist. Er wollte öfter kommen, durfte nicht. Davon wird noch die Rede
sein. Seine beiden Platten, die seinerzeit bei Amiga herauskamen, waren
Bückware. Stundenlang haben wir damals danach angestanden. Was für ein
Glücksgefühl, als wir sie dann endlich hatten!
Herman van Veen, der Clown, der Sänger, Poet, Schauspieler, Entertainer. Der
Mann kommt sehr pünktlich zu unserem Gespräch. „Ich bin der Herman", sagt er,
damit steht die Anrede „du" fest. Seine blauen Augen stahlen, man möchte darin
ertrinken. „Das war ‘ne Nacht heute nacht", er faßt sich an den Kopf. „Ein
Freund von mir läßt sich gerade scheiden. Erst rief er bei mir an, dann seine
Frau. Das zerrt schon an den Nerven und am Schlaf. Aber ich freue mich auf
unser Gespräch." Er macht keinen Hehl daraus: „Ich mag euch Leute aus dem
Osten Deutschlands ganz einfach. Ihr seid so offen, so herzlich und vor allem
sehr ehrlich, und ihr habt so ungeheure Kraft - erinnert euch bloß daran."
Und weiter: „Auch eure Wiedervereinigung ist bei mir ins Herz und ins Hirn
gestoßen." Van Veen denkt an die Zeit zurück, als er das erste Mal bei uns zu
Gast war: Es war das Jahr 1982, und er trat im Berliner Palast der Republik
auf: „Ganz vorne in der ersten Reihe saß Kati Witt", erinnere er sich lachend.
„Aber sie hat so mit ihrem Freund geschmust, daß sie mich bestimmt gar nicht
bemerkt hat."
Auch acht Wochen vor dem Fall der Mauer war ich in der DDR. „Es war
phantastisch" - er sagte phantastisch und meint es im Sinne von kaum
vorstellbar. Seine Gedanken fliegen zurück: „Du, ich dachte, ich spinne, so
was habe ich weder vorher noch nachher erlebt. Hinter der Kulisse standen rund
100 bewaffnete Leute - und wie bewaffnet. Pah! Vorne das supertolle Publikum,
das nichts ahnte. Und ich auf der Bühne. Zum Schluß habe ich den Leuten
gesagt: Wir sehen uns in Paris. Die haben gelacht, gejohlt, getrampelt. Haben
gedacht, der Herman spinnt. Und doch war die Grenze acht Wochen später weg."
Sein Satz vom Wiedersehen in Paris ist durch Europa gegangen, wurde unter
anderen in England und in Dänemark in den Hauptnachrichten gesendet, auch in
Amerika. Van Veen hatte ein Kamerateam von zu Hause unter dem Vorwand in die
DDR gebracht, es wolle ein Porträt von ihm zeichnen. In Wirklichkeit sollte es
die Stimmung im Lande festhalten, als Geschichtsdokument.
Weshalb war er sich so sicher, daß die Mauer fällt, wollen wir von ihm
wissen: „Ich war damals oft in Kneipen, in Kirchen, habe mit den Leuten
gesprochen. Die Situation war so explosiv, ich habe es gefühlt, gespürt. Es
war auch unzumutbar, wie sich Politiker anmaßen konnten, ein ganzes Volk
jahrzehntelang einfach einzusperren. Ein paar Sportfuzzis konnten reisen, die
Welt sehen, in tollsten Hotels wohnen, und für andere war Schluß an diesem
Ding aus Stahl und Beton. Und ihr habt so einen Mut bewiesen und euch nicht
provozieren lassen - davor kann ich nur meinen Hut ziehen."
Wenn er an seine Zeit in der DDR denkt, dann gehört da auch die Geschichte
von der jungen Frau dazu, die immer dort war, wo der Sänger nach seinen
Auftritten hinging: „In Kneipen, um mit Leuten zu reden, auf die Straße, um
ihnen Hallo zu sagen. Jedenfalls war die Frau wie ein Schatten bei mir. Beim
letzten Tag meiner Reise bin ich dann auf sie zugegangen und habe gefragt, was
sie will. Ihre Antwort: einmal mit Ihnen singen." Herman ist dann in ihren
Trabi gestiegen, und „Irgendwo haben wir nachts zusammen ‘Dona nobis Pacem’
gesungen. Ich kriege jetzt noch en zärtliches Gefühl, wenn ich an sie denke"
Aber es gibt Leute, die an die vergangenen 40 Jahre DDR nicht erinnert werden
wollen. „Menschen, sicher" , er rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her.
„Weißt du, ich war mit meiner Frau 20 Jahre verheiratet, 20 glückliche Jahre,
und doch sind wir jetzt geschieden. Das lief zwar alles freundschaftlich ab,
und doch ist das schwer. Ihr Duft schwebt noch immer durch unser Haus, ich
fühle sie noch, sie ist in jeder Pore meiner Haut. Das tut weh, du. Ich stelle
es mir unendlich schwer vor, mich von einem Tag auf den anderen von einem
ganzen Land zu trennen, von vielem, was mal meins war. Da ist das altvertraute
Haus, wo heute eine neue Bank drin ist. Da ist die Straße, die man schon
tausendmal gegangen ist, die jetzt einen Namen trägt, zu dem man eigentlich
keine Beziehung hat."
Er faßt sich an den Kopf, als ob er das nachvollziehen kann, wie schwer es für
einige im geeinten Deutschland ist. „Was ihr braucht, ist Zärtlichkeit,
Zärtlichkeit von denen, für die ihr vierzig Jahre lang Brüder und Schwestern
wart. Zärtlichkeit und nochmals Zärtlichkeit."
Es ist doch was dran an dem Satz: Herman van Veen - der Träumer.
Tja, und doch, sage ich, hast auch du in deinem Programm den Satz drin: „In
jedem von uns steckt ein Stasi". In Düsseldorf zum Beispiel lacht man darüber.
In Magdeburg wird vielen das Lachen an dieser Stelle im Halse steckenbleiben,
zu tief sitzt die Bestürzung darüber, was durch die Stasi geschehen ist, und
die jahrelange hilflose Angst davor. Van Veen zuckt spürbar zusammen. „So ist
das doch nicht gemeint." Er macht eine Pause.
„Ich meine, daß in jedem von uns ein Tier lauert, das erwachen kann, wenn man
es weckt. Der Verräter, der Feind. Der Tod fährt auch auf jedem Fahrrad mit,
er ist doch im Prinzip allgegenwärtig."
Und dann denk er an seine Stasi - Erlebnisse in der DDR zurück. „Da liege ich
doch eines Nachts im Hotelzimmer, und es knackt in meinem Schrank" , der
Holländer lacht schallend: „Ich gehe also hin. Nichts. Nehme ein paar Bügel
zur Seite - wieder nichts. Also lege ich mich wieder hin, und wieder knack’s.
Noch mal ran an den Schrank. Plötzlich merke ich, daß sich die Rückwand
rausnehmen läßt. Ich mache das. Da steigt doch ein Mann aus meinem Schrank."
„Der sagt freundlich guten Abend und geht quer durch mein Zimmer zum Ausgang.
Du, ich dachte, meine Augen sind fertig. Aber, ob der nun von der Stasi war?
Ich fand’s irre witzig." Und: „Ihr habt euch von dem Spuk befreit."
Van Veen lebt jeden Tag bis zur Grenze, scheinbar sieht er Tiefen, saugt alle
Eindrücke förmlich auf, verarbeitet sie in seinem Liedern. Da ist die Szene im
Programm, wo es um die hungernden Kinder in Somalia geht. Van Veen: „Als die
amerikanischen Marines da gelandet sind, da haben die doch ein Medienereignis
daraus gemacht. Zur besten Sendezeit sind sie gelandet, die Reporter waren
natürlich schon da. Du, da hatte ich den Eindruck, die hungernden Kinder sind
das Nebensächlichste an der Aktion. Dabei brauchen gerade sie Zärtlichkeit,
einfach satt zu essen."
Den Kindern, die kein Obdach, nicht satt zu essen haben, die nicht wissen,
was aus ihnen wird, gehört Hermans Engagement. Seit 25 Jahren ist er
Botschafter für UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nation. Er hat
geholfen, Not zu lindern, und doch steht er oft ratlos, fast ohnmächtig dem
gegenüber, was in der Welt passiert. Er springt auf: „Kannst du mir erklären,
weshalb täglich 40 000 Kinder in der Welt sterben müssen? Sterben, weil es
angeblich kein Geld für Spritzen gibt, die sie vor tödlichem Durchfall und
solchen Sachen schützen würde. 2,50 Mark kostet so ein Medikament, und die
sollen nicht dasein? Pah! Im Tennis geben sie Millionen und Abermillionen für
Preisgelder aus. Das ist doch ein Witz. Millionen dafür, daß da so ein weißer
Ball hin - und hergeht, wo täglich Mädchen und Jungen das Lebenslicht
ausgeblasen wird. Das ist doch nicht vorstellbar, das geht nicht in meinen
Kopf." In diesem Moment klingt Herman van Veen ratlos.
Verzweifelst du manchmal an der Welt, frage ich ihn zum Abschluß. „Eine
schwere Frage, die nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden kann", er stützt
sein Gesicht in die Hände. „An der Welt nicht, denn sie braucht uns nicht. Sie
wäre besser daran ohne uns, die an ihr herumzerren, herumbomben, ihr alles
entreißen. An den Menschen manchmal, wenn sie gleichgültig sind und
egoistisch. Wir haben doch nur den blauen Planeten, und er könnte so
gigantisch schön sein - wenn wir das doch nur endlich innerlich spüren
würden."
Eine Stunde sollte das Interview mit Herman van Veen dauern, drei sind dann
daraus geworden. Drei Stunden mit einem Weltstar? Sicher! Und doch mit einem
Freund. Wir erlebten einen Träumer, einen Träumer mit wachem Blick allerdings.
Ein Mann, der sich seine Kindlichkeit bewahrt hat, und doch ein Erwachsener,
ein Kluger, einer, der sich Gedanken macht.
Nach diesen drei Stunden schwebten wir noch tagelang auf einer Herman-van-
Veen-Wolke. Der Abstieg von dieser Wolke führte uns allerdings nicht in einen
grauen Alltag. Aber man sieht viele Dinge plötzlich anders, neu , setzt andere
Schwerpunkte - auch in seinem ganz privaten Bereich. Und wir können dieses
Gefühl all jenen versprechen, die ihn am 3. Und 4. März in der Magdeburger
Stadthalle erleben. Sie werden lachen, Schmunzeln, nachdenken, betroffen sein
- auf jeden Fall grenzenlos begeistert. Willkommen, Herman van Veen!
Magdeburger Volksstimme - Februar 1993 – Cordula Bischoff
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