??? schreef in 1990 in Hörzu

Wer verlernt hat, Kind zu sein, hat verlernt zu leben.


Wer verlernt hat, Kind zu sein, hat verlernt zu leben. Sagt HERMAN VAN VEEN, Liedermacher aus Holland. Er stellt sich auf die Seite der Verletzlichen - und fühlt sich bei ihnen geborgen.
„Hinter dicken Mauern wird man eher getroffen"
Der Herman war ein böses Kind. Ooh, wie böse. Geschlagen hat er. Getreten und um sich gespuckt, wenn jemand ihm zu nahe kam. Herman mußte seine Geige verteidigen. Über den Jungen mit der Geige haben sie alle gelacht, damals in Utrecht, in den fünfziger Jahren. Ein Junge mit Geige war weibisch. Ein Spinner. Aber nie, niemals hat der Junge seine Geige verraten. Heute ist er groß und berühmt. Herman van Veen, der Clown und Entertainer, Chef eines eigenen Medienkonzerns. 45 Jahre alt und erwachsen. Aber nie, niemals wird jemand erleben, daß der Mann seine Kindheit verrät...

Westbroek bei Utrecht, Backsteinhaus vis à vis der Kirche. Der Firmensitz heißt „Harlekijn", wie sonst. Hier unterhält der Chef persönlich: „Bon", sagt er gern, wenn ein Satz zu Ende ist. Malt mit den Händen, singt ein paar Takte, schnattert auch mal kurz: unmöglich, den Boss seriös zu erleben.
Die Leichtigkeit ist bei ihm Programm, der Unernst hat Methode. Selbst schuld, wer so was kindisch findet. Herman van Veen, himmelblaue Augen unter der hohen Stirn, weist auf den Kirchturm gegenüber: „Erwachsene sind nur noch mit dem Tod beschäftigt. Bon. Sie bauen dicke Häuser mit dicken Mauern, weil sie Angst haben. Sie fahren dicke Autos, sind in dicken Parteien, die ihre Belange vertreten. Und was nützt es ihnen ?" Pause und Anlauf zur Pointe: „Nichts."

Und Herman, der Blauäugige ? Der fährt auch ein großes Auto, aber nur, „weil es funktioniert". Der lebt auch hinter dicken Mauern, aber nur, „weil es in Holland kalt ist". Bon. Auf das Erwachsenen jedenfalls hat sich Herman van Veen seinen Reim gemacht: „Das Risiko, getroffen zu werden, ist viel größer, je dicker die Mauern sind. Alles, was hart ist, kann zerbrechen."
Deshalb schnell zurück ins Kinderland. Im alten Backsteinhaus am Kerkdijk hat er unlängst Geschichten einer Ente namens „Alfred J. Quak" erdacht. Einer Ente mit weichem Federkleid, die demnächst als Zeichentrickfigur beim ZDF in Serie geht. Wieso der Mann auf die Ente kam ? „Sie kann fliegen. Sie kann watscheln und schwimmen. Zwei Dinge mehr als ich. Bon. Und sie schmeckt gut. Das macht sie attraktiv." Und außerdem ist sie ein guter Botschafter seiner Gedanken: „Alfred" klein, geht allein, in die weite Welt hinein und trifft auf viele große Tiere. Ooh, sind die manchmal verblendet, böse und gemein. Wie kann sich eine kleine Ente da wehren ? „Gar nicht", grinst der Erfinder. „Sie ist wehrlos, sie kann nur reden, und das macht sie sehr stark. Wenn es keinen Widerstand gibt, worauf sollen die anderen dann hauen ?"
Glücklicher „Alfred", der neugierig durch Feindesland watschelt, dem niemand eine Feder krümmt. Herman ist es zufrieden so: „Alfred ist wie ein Kind. Er fragt, er will alles verstehen. Ich glaube daran: wer mal aufhört Kind zu sein, der hat aufgehört, zu leben !"

Poeten-Pech, daß ausgerechnet der gefiederte Botschafter der Schwachen von den Geschäftemachern vereinnahmt wird. Kaum war die Ente van Veens Feder entfleucht, standen schon die Verwerter vor der Tür: Lizenzen wurden vergeben, Kontrakte unterzeichnet, die „Quak"-Industrie boomt. „Mein Produzent ist ein Finne, der englisch spricht", sagt Herman. „Ich bin jetzt noch beschäftigt, zu kapieren, was er mir gesagt hat."
„Alfred"-Videos auf Platz eins der holländischen Video-Charts, „Alfred" auf T-Shirts, „Alfred" als Plüschtier: der kleine Vogel ist auf dem besten Wege, eine goldene Gans zu werden. Dem Vater ist der kommerzielle Erfolg nicht ganz geheuer: „Ich wollte doch nur, daß meine Alfred-Bücher in vielen Übersetzungen im Regal stehen. Und nun diese Geschäftemacherei, dieses Gewusel von Kontakten, dies Getue und diese Typen !"

Wollte er doch kürzlich für seine Stiftung „Colombine" einen Malwettbewerb veranstalten, ging aber nicht. Die Lizenz für Malwettbewerbe war schon an einen Wurstfabrikanten vergeben. Gottergebener Blick zum Bürohimmel: „Typen stehen da plötzlich vor der Tür, Leberwursttypen!"
Herman der Gute ist nur froh, daß es sein Hilfswerk „Colombine" gibt, das den Gewinn kanalisiert. Waschanlage des Gewissens, wenn man so will. Die „Alfred" T-Shirts werden in Ländern der Dritten Welt hergestellt, der Großteil der Gewinne fließt in Projekte der Entwicklungshilfe. „Alfred ist mein Hobby," sagt der Erfinder, Hand auf der Brust, Schwurhand nach oben gereckt: „An ihm verdiene ich fast nichts."

Schnell wieder weg aus dem Erwachsenenland. Herman van Veens Platz ist nicht da, wo die Dollars regnen. Sicher nicht. Aber bei den Ärmsten der Armen, für die der langjährige „UNICEF"-Botschafter die Trommel rührt, fühlt er sich genauso fremd. Erinnert sich mit Schaudern an einen Krankenhaus-Besuch im hintersten Indien. Herman der Poet, blonde Haare, blaue Augen, weiße Hose, hilflos inmitten des Elends. „Plötzlich", sagt er, „hielt ich ein sterbendes Kind im Arm. Die Mutter dachte, ich sei ein Arzt."
Er ist kein Arzt und er ist auch kein Held. Er ist weggelaufen. Vielleicht ist Herman van Veen am besten als Träumer [zu bezeichnen] ? Im Herbst ist es wieder soweit, dann geht er auf Tournee. Vier Jahre zieht er durch verschiedene Kontinente, der Entertainer, dessen berühmtestes Lied so geht: „Ich hab ein zärtliches Gefühl für jede Frau, für jeden Mann, der vollkommen wehrlos lieben kann."

Herman van Veen, der Mann mit der Geige, der nie aufhören will, Kind zu sein.


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