Lutz Pehnert schrieb 1987 in der Zeitschrift "Unterhaltungskunst" (DDR)...




Wenn ich mich nicht äussere geh´ ich tot


Unterhaltungskunst: Was war... ... deine wichtigste Arbeit?
van Veen: Ich habe eine neue LP produziert und in Österreich eine vierteilige Fernsehserie, "Die Clowns", gedreht. Ich spiele da einen Clown, Gisela May spielt meine Schwiegermutter, eine ältere "Clownin", und Heinz Rudolf Kunze einen Bankdirektor.

Unterhaltungskunst: Du hast hier in Berlin auch sein neues Lied "Dieser Tag ist ein Griff ins Klo" vorgestellt. Wie bist du auf Kunze gekommen?
van Veen: Ich kannte ihn schon lange, sah ihn oft in meinen Konzerten, aber wusste überhaupt nicht, wer er war, sah nur einen kleinen, bisschen komisch aussehenden Herrn. Irgendwann schenkten mir Freunde eine Kunze-Platte. Ich konnte mir zunächst die Kombination von dem, was ich da hörte, und dem, was ich gesehen hatte, nicht vorstellen. Als ich für meinen Film einen Bankdirektor brauchte, musste es dieser Mann sein. In Graz haben wir dann ein paar Lieder gemeinsam bedacht. Das Lied "Griff ins Klo" werde ich auf seiner neuen LP in meiner Weise singen, und er singt es auf seine Art auf meiner nächsten Platte.

Unterhaltungskunst: Vor den rettungslos ausverkauften Vorstellungen waren die Straßen um das Berliner Ensemble herum trotzdem von Kartensuchenden gefüllt. Viele mögen dich und deine Lieder nicht nur, sie identifizieren sich auch sehr ernsthaft mit dem, was du ihnen mitteilst. Stört dich mitunter die Verantwortung dieses Clownseins?
van Veen: Ich find da überhaupt kein Problem. Wenn ich etwas gesagt habe, dann habe ich das gesagt. Wenn ich taktisch sein soll, dann fühle ich mich körperlich unwohl. Und wenn ich merke, dass Leute etwas vor mir verbergen, fange ich an zu schwitzen. Ich möchte sicher sein, dass du verstehst, was ich gerade gesagt habe und nicht nur hörst, was du hören willst. Mir tut es wahnsinnig leid, wie Leute miteinander umgehen. Wenn Menschen nicht lernen, ihr Wissen, Haben, ihr Sein füreinander einzusetzen, denke ich, können wir es kollektiv vergessen. Also ich glaube, ich habe nicht so viele Sachen erzählt, zu denen ich heute nicht mehr stehen würde.

Unterhaltungskunst: Bei deinen Auftritten spielst du ein bisschen mit deinem Alter. Hast du das auch schon mit 22 Jahren getan?
van Veen: Als ich 22 Jahre alt war, war ich halt einfach zweiundzwanzig. Ich bin auf die Bühne gesprungen und hab alles gerufen, was zu rufen war. Ich mach das eigentlich immer noch. Und woher das kommt? Vielleicht weil ich einen Riesenschiß habe - wie wir alle. Wenn ich mich nicht äußere, geh ich tot. Wenn ich nicht sagen und singen kann, was ich denke und empfinde, ist Schluß. Im täglichen Leben bin ich eigentlich ein pessimistischer Realist oder ein realistischer Pessimist. Auf der Bühne spüre ich immer wieder eine Art unbewussten Mutes. Der kommt von den Leuten. Es ist das Ungesagte, was wir nicht mit Worten oder Musik klären können. Jetzt bin ich zweiundvierzig. In der Vorstellung grag ich ein Kind nach seinem Alter und es antwortet: "Fünf, Gott, oh Gott. Fünf". Mensch, sag ich, mach dir keine Sorgen, ich bin ZWEIUNDVIERZIG. Ich muß auch sagen, dass ich nicht immer Lust habe, auf die Bühne zu gehen. Manchmal steh ich da und denke; Was machst du eigentlich hier, was soll dass? Und dann passiert scheinbar doch etwas mit den Leuten und mit mir: zwischen uns. So fängt man immer wieder an, obwohl die Welt singend nicht zu verändern ist. Tief in mir glaube ich an unsere menschlichen Möglichkeiten, von denen wir enorm viel haben. Wir nehmen sie nur nicht wahr. Die Kunst gibt uns eine vage Hoffnung davon. Und dieser Lichtfunken gibt mir ab und zu enorm viel Mut. Auf der Bühne weiß ich es wieder. Hinterher frage ich: Hat das stattgefunden oder nicht? -
Jetzt spricht aus mir der selbstbeklagende Künstler, der irgendwo in einer Kneipe versucht, sich in einem Glas Bier zu ertränken. Das Glas ist zu klein. Und außerdem trinke ich kein Bier. Zum Glück.

Unterhaltungskunst: Nach all der Zeit auf der Bühne, nach Büchern, Filmen, Kindersendungen, Schallplatten - gibt es da inzwischen auch die Furcht, sich nur noch zu wiederholen, oder dass die Mittel nicht mehr ausreichen, Neues zu sagen?
van Veen: Ich hab noch nie etwas Neues geschrieben oder gesungen. Es ist immer das Gleiche in einer anderen Reihenfolge. Ich bin überhaupt nicht in der Lage je etwas Neues zu erdenken. Ich kann die Dinge nur anders erzählen.
Von mir gibt es - ich weiß nicht wie viel - Alben und all die Vorstellungen. Doch immer wieder fand ich das alles nicht gut. Und ich kann es nie so gut machen, wie ich denke, dass ich es machen könnte. Was ich mir wünsche, weiter und kleiner zu arbeiten. Das meint: Ich sehne mich nach Stille. Das optimale Theater wäre für mich: Nichts. Eine Hand reicht und ein Wort. Ich möchte ein großer Clown werden, ein Clown, der mit sehr wenigen Mitteln, die Leute und sich selbst erstaunen kann. Ich kann mir dieses Licht vorstellen. Aber man muß wahnsinnig alt sein, um nicht viel tun zu müssen und trotzdem viel bewegen zu können. Also da hab ich noch riesig was vor mir.



Das Gespräch führte Lutz Pehnert