1987 stand in der Nr. 36 der Rheinische Wochenpost (DDR)...
aus Gesprächen mit Kathrin Brigl, Jacky Huys, Ahrenholz/Pollatschek, Barbara Thalheim




Ich habe nur den einen Luftballon


Herman van Veen, Komponist und Texter, Sänger und Instrumentalist, Pantomime - ein Clown


"Alfred Jodocus Quak wohnte schon sehr lange am breiten Kanal im Schilf des Großen Wasserlandes", so beginnt Herman van Veen seine Musikfabel für Kinder, mit der er Ende September zu uns kommt. Was die Ente Quak aus der Beschaulichkeit des Daseins reist, ist die Zeitungsmeldung, nicht jeder in der weiten Welt habe Wasser genug und mancher nicht genug zum Leben. Das bringt sie in Bewegung. Hier soll nicht vorweggenommen werden, was alles sie zur Hilfe ins werk setzt und welche Gefahren sie zu bestehen hat. "Man kann nie genug Freunde bei sich haben" - diese Einsicht jedenfalls bestätigt sich. Und als Alfred Jodocus am Ende von allen auf den Thron gesetzt wird, reagiert er als ein "aussergewöhnlich guter König", als einer, "der nicht nur für seine eigenen Untertanen sorgt, sondern vor allem auch für all die anderen, die von allem nur ein ganz kleines bisschen haben".

Wer eine Geschichte mit soviel Witz, soviel musikalischem Vergnügen, soviel phantasievollem Mummenschanz in Szene zu setzen weiß wie Herman van Veen, der darf sicher sein, sein Publikum nimmt auch den "kleinen Puff" auf, den der Künstler aus- und mitteilen will: Ermunterung und Ermutigung, den Aufruf zu gemeinsamer Aktion, eine Vorstellung davon, womit einer seiner Mitmenschen "außergewöhnlich gut" tut.

Herman van Veen studierte Gesang, doch nicht um Sänger zu werden; er studierte Violine, doch nicht, um Virtuose zu werden. Was ihn tatsächlich interessierte, war das Leben, die Wirklichkeit in ihrer Fülle und Widersprüchlichkeit. Da wollte er sich einmischen - auf seine Weise: mit Singen, mit Spielen, mit seinem so ausdrucksstarken, wandlungsfähigen Gesicht, mit Händen und Füßen, mit Herz...
Gibt es eine ordentliche Berufsbezeichnung für derlei Tätigkeitsmerkmale? "Harlekijn" nannte er sein erstes Soloprogramm, mit dem er 1967 an die Öffentlichkeit trat, und markierte damit die Tradition, in der er sich sah: die der Commedia dell´ arte mit dem Allerweltskerl Arlequin, dem schlagfertigen Burschen aus dem Volke.


Herman van Veens Mutter war Hausfrau, der Vater Drucker, Typograph. Künstlerische Neigungen oder gar Talente lassen sich bei ihnen nicht entdecken. Aber anders: "Wenn sie auf der Straße jemanden sieht, der dummes Zeug macht, läuft sie hin und sagt: Wollen Sie bitte damit aufhören! Viele Leute gehen daran vorbei. Aber sie geht einfach hin", erzählt Herman von seiner Mutter 1). Und von seinem Vater: "Ein sozialistischer Mann von altem Schrot und Korn, der auch mal von einer Familie.. und einer sauberen Welt geträumt hatte, der aber als Kind mit dem ersten und als erwachsener Mann mit dem zweiten Weltkrieg konfrontiert wurde. Da hat er Tatsachen als Tatsachen akzeptieren müssen, hat sie aber auch als Tatsachen bekämpft... Mein Vater hat immer dem nachgelebt, woran er glaubte"2). Herman van Veen ergänzt: "Und ich habe das auch ein bisschen. Ich übertreibe es jetzt, es klingt fast arrogant: dass man verantwortlich ist für die ganze Welt".
So kommt der Pingpongball in seine Programme und der große Ballon - Sinnbilder für den Erdball, mit dem sich allerlei anstellen, wunderbar spielen lässt, der aber behutsam behandelt sein will, wenn die Freude anhalten soll. So kommen bestürzende Zahlen in eins seiner Bücher: Seit dem letzten Weltkrieg sind wir Zeugen von 141 Kriegen mit 25 Millionen Toten. Seit dem letzten Weltkrieg sind wir Zeugen von 540 Millionen verhungerten Kindern. Und Zahlen, die belegen, wie teuer Tod und Todesdrohung kommen und wie vergleichsweise billig Leben. 1968, gerade 23jährig, stellte sich Herman van Veen als Botschafter der niederländischen Jugend bei der UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, zur Verfügung.
So singt er, an Jesus Christus gewandt, in seinem Lied "Die Wechsler"5): Arme werden ärmer, Reiche kriegen mehr. Mit deinem Markenzeichen ist das nicht schwer..." Und so gründete er 1977 "Colombine", eine Entwicklungshilfe-Organisation für Länder der Dritten Welt. Ihr Etat setzt sich zusammen aus dem Erlös von Benefiz-Konzerten und Spenden - rund 350.000 Mark alljährlich. Vor allem auf den Philippinen, in Äthiopien, in El Salvador wird damit Menschen geholfen, gesund zu werden und zu lernen, arbeiten und sich selbst ernähren zu können.
So singt er mit der Melodie eines russischen Volksliedes, die von Mikis Theodorakis bearbeitet wurde: "Ich frag´ mich manchmal, sind all die Soldaten, die irgendwo im Krieg gefallen sind, nur unter weiße Kreuze dann geraten, ob sie nicht Kraniche geworden sind. Sie rufen uns, wenn sie vorübergleiten..." Singt es auch, als er am 21. Oktober 1981 mit 450.000 Menschen in Amsterdam gegen imperialistische Hochrüstung, für eine friedliche Zukunft demonstriert. Und im Februar 1986 beim Festival des politischen Liedes in Berlin vor 10.000 jungen Menschen in der überfüllten Werner-Seelenbinder-Halle.
So singt er: "Tut uns leid, keine Stelle frei, versuchen Sie´s nebenan! Wie Sie sehn, die vielen, die da stehn, stehen auch umsonst nach Arbeit an...Da steht man nun, die Faust geballt, mit 20 schon zu alt"5).

Ein Harlekin, ein Clown? Ja - wenn man diese Begriffe nicht mit "Spaßmacher" übersetzt. Mit "Unterhaltungskünstler" allenfalls. Und das meint im Fall van Veen; einer, der singt und tanzt und Instrumente spielt, der einen unglaublichen Reichtum an szenischen Ideen mit vollem Körpereinsatz vor Augen führt, der Kontraste aufeinanderprallen lässt - laut schockt und leise anrührt, ausgelassen, übermütig ist und tiefernst. Und wo uns Lust- oder Leidgefühle schon überwältigen wollen, da fängt und wendet er sie ab. Überwältigte mag er wohl nicht.


Kunstfertigkeit gibt es da zu bestaunen. Aber sie herrscht nicht, die dient. Mit ihr setzt er Leben ins poetische Bild, wie er es erfuhr: im Lieben, im Sich-Erinnern und Hoffen, in all den kleinen Kümmernissen, in all den großen Sorgen, den Ängsten, wo es ums Ganze geht - für den einzelnen, für uns alle. Da spart er nichts aus. Mit Kunst schließt er seine Zuhörer auf und träft in sie hinein, was ihnen wohl- und nottut - bedrängt und bedroht, doch auch so reich an Anlagen zum Guten, wie sie sind. Ironie gehört zu seinen Farben, Melancholie. Zynismus, Verzweiflung nie. "Ich kann mit Negativität nichts anfangen", sagt er. "Ich stehe nicht da mit Misstrauen, ich stehe da mit einem Ja"3). Es ist nicht das Ja, von dem aus einer aufbricht - zur Suche nach neuen Möglichkeiten

"Michelangelos Skulpturen, sagt er, hätten einzig und allein vom überflüssigem Stein befreit werden müssen. Läßt sich nicht dies Prinzip auch auf Menschen übertragen? Von vielen kann man sagen, sie sind unbehauen. Es muß nichtsdestotrotz auf einen groben Klotz nicht immer nur ein grober Keil gehören", singt Herman van Veen in seinem Lied "Herz" und im Refrain:
"Hörst du nicht den Trommler, der beharrlich in dir schlägt?"6).


Er setzt auf den einzelnen. Ihm gilt sein "zärtliches Gefühl", wenn er sich nur nicht zum Knecht und nicht zum Herrn macht, wenn er den Mund auftut, wenn er zu träumen wagt. Das sind freilich Konditionen, die den einzelnen über sich selbst hinaus verweisen. Ihm gilt sein Respekt wie sein Vertrauen - er kommt ihm nicht mit Fertigem. Aber was er in ihm aufruft an Gefühlen und Visionen, was er an Fakten vor ihn hinstellt, das macht dem Zuhörer seine Verantwortung bewusst, das nimmt ihn in die Pflicht, das mobilisiert.
"In meinen Vorstellungen versuche ich eigentliche zu sagen: Wenn du etwas tun willst, dann musst du es selber tun", meint Herman van Veen4). "Der einzelne Mensch hat viel mehr Kraft, als er denkt. Wenn man Selbstvertrauen hat, dann kann man alles, davon bin ich überzeugt". Und auf die Frage, was die Leute mitnehmen sollen aus seinem Konzert: "Ich glaube: Mut".

Davon geht nichts verloren, auch wenn er - von seinem Ansatz- und Ausgangspunkt logisch - mit seinen Träumen in die Utopie gerät und dort die Grenzen spürt. "Wenn wir allesamt etwas Positives wollen, dann müsste das eine unvorstellbare kollektive Energie hervorrufen können...Diese kollektive Energie wird es wohl nie geben, aber es ist faszinierend, darüber nachzudenken"2). Mut und Mutige, die Herman van Veen bestärkt, brauchen auch die deren Nachdenken über kollektive positive Energie...



Fußnoten:
1) im Gespräch mit Kathrin Brigl
2) im Gespräch mit Jacky Huys
3) im Gespräch mit Ahrenholz/Pollatschek
4) im Gespräch mit Barbara Thalheim
5) auf der LP "Auf dem Weg zu dir" AMIGA 1987
6) auf der LP "Herman van Veen" AMIGA 1983


Herman van Veen wurde am 14. März 1945 in Utrecht/Niederlande geboren. 1967 schloß er seine Studium (Musikpädagogik, Violine, Gesang) am Utrechter Konservatorium ab und startete sein erstes Soloprogramm "Harlekijn".
1968 gründete er die Firma "Harlekijn Holland", die zu einer Multimedia-Produktionsgesellschaft heranwuchs.
1974 begann van Veens internationale Karriere, die ihn in die Länder West- und Nordeuropas, der Karibik, in die USA und nach Japan führte.
Am 1. April 1982 trat er erstmals in der DDR auf: im Rahmen eines DT 64-Jugendkonzertes im Palast der Republik.

Herman van Veen produzierte bisher mehr als 60 LP, 20 davon in deutscher Sprache. Er schrieb mehrere Bücher, u.a. für Kinder, schrieb und inszenierte Filme und Theaterstücke, komponierte Film- und Ballettmusien.
Wiederholt wurde er für seine künstlerische und für seine humanitäre Arbeit hochgeehrt.

Herman van Veen ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Zu seiner Band gehören
Erik van der Wurff (Synthesizers; Kompositionen, Arrangements)
Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette, Akkordeon)
Chris Lookers (Gitarre)
Cees van der Laarse (Baßgitarre)