Peter Gehrkens schreef in nr 1 der erster Jahrgang Harlekijn 1980
Ich lieb' Dich noch.
"Ein kleines Puzzle, das Auskunft über die Stimmungen, Träume, Ängste, Freuden
des clownesken chansonniers geben will", so empfand die Kritik Herman van Veen's
ersten abendfüllenden Spielfilm, der nach langem Hin und Her nun auch in Deutschland
anlief. Vorerst nur in zwei Städten - Berlin und Hamburg - verliehen, zeigt sich
"Ich lieb' Dich noch" als ein sehr respektables Erstlingswerk, das sich durchaus
neben Filmen wie Vadim Glowna's "Desperado City" behaupten kann.
Es geht um Vincent. Vincent ist Showstar, Entertainer und Clown, geplagt von der
Vorstellung als Preis für seine Karriere das familäre Glück zahlen zu müssen. Die
Handlung des Filmes ist schnell erzählt: Nach einem Auftritt trifft Vincent in
einem unterirdischen Straßentrakt einen ehemaligen Schulfreund wieder, der ihn
bittet, ihn nach Hause zu fahren. Mit der Ankunft am Haus des Freundes und
Vincents weiterer Fahrt ist die reale Handlung des Filmes bereits erschöpft,
der eigentliche Gehalt liegt denn auch in den durch Gesprächsfetzen verursachten
Rückblenden und Erinnerungen Vincents, in Spielmöglichkeiten seiner eigenen
Existenz, Angstvorstellungen und Traumbildern. All das sind kleine Stücke,
mal sehr pathetisch aufgetragen, dann spielerisch leicht daherkommend, mal
zärtlich, dann grausam, immer jedoch emotional bestimmt. ,,Ich lieb' Dich noch"
ist ein Film, der kein großes Thema hat; er birgt in sich viele kleine, vielleicht
gänzlich unwichtige Themen, Nebensächlichkeiten, Marginalien, die sich
doch zu einem - wenngleich auch sehr offenen - Ganzen zusammenfügen. Da stimmt es
denn auch eher mißmutig wenn man sich die Slogans anhört, die der Produzent
Harlekijn für diesen Film erdachte: "Der Sturz in die Schlangengrube einer
Seele..." oder "Irrungen und Wirrungen im Labyrinth der Seele..." heißt es
da sehr werbeträchtig aber kaum treffend, denn dieser laute Ton will mit dem
leisen, den der Film anschlägt, so gar nicht übereinstimmen. Es ist ein Film,
der sehr viel Vincent/ Herman van Veen zeigt, für die Fans von Herman sicher
ein Vorteil, für den Film selbst jedoch eher ein Manko. Zu sehr geraten die
anderen Figuren gegen Vincent ins Hintertreffen, einzig sein Sohn Eric kann
sich als Figur behaupten. Das ist schade, doch zugleich verständlich, bedenkt
man, daß Herman van Veen nicht nur die Hauptrolle spielte, sondern auch Regie
geführt hat. In-wieweit überlagern sich für ihn selbst die fiktive Figur
Vincent und die reale des Herman van Veen?
"Mit der Person auf der Bühne kann ich mich hundertprozentig identifizieren,
das ist logisch, weil ich auch Stücke aus meinen eigenen Vorstellungen ausgewählt
habe", erklärt Herman van Veen nach der Premiere. "Als die Vincent-Figur, die
in so einer klinischen Gegend herumläuft, bin ich ein Schauspieler, aber alles
ist recht nah, alles, was in dem Film vorkommt, habe ich gesehen und auf eine
bestimmte Weise miterlebt". Die Geschichte der Scheidung ist also nur leicht
angelehnt an die eigene Biografie, Herman van Veen sieht die Verbindung da
grundsätzlich nur in den Ängsten, die er im Film zu schildern sucht. Darin
sieht er auch die Begrun-dung für die Dominanz der Figur des Vincent: ,,Es
sind meine Ängste, es ist die Angst, daß etwas geschieht, weil man sich trennt.
Das Basisthema des Filmes ist, daß Vincent durch eine Scheidung nicht mehr
den Kontakt zu seinem Kind haben kann, wie es vor dem der Fall war." Freimütig
gibt er zu, daß er die Personen neben Vincent im Film kaum mit dramaturgischem
Hinter-grund ausgestattet hat, sie oftmals ein Klischee spielen ließ, das bei
näherem
Hinsehen kaum mehr haltbar ist. Auch seinem eigenen Spiel als Vincent merkt man an,
daß er häufig Ausflüchte sucht, sich aus Angst vor dem Zeigen in Gags und
Skurrilitäten stürzt. Gründe also, die eigentlich ausreichen würden, einen
Film zu verdammen, doch geschehen sie hier in einer solchen spielerischen
Leich-tigkeit, daß sie eher erfrischend wirken. Dieser Film gehört nicht
in die Reihe der großen, glatten und kulinarischen Filme, er bekennt sich
zu seiner Brüchigkeit und spiegelt keine Perfektion vor, das macht ihn
sympathisch.
"Das größte Problem dieses Filmes ist, daß er nahezu ohne Erfahrung
gedreht wurde. Es ist mein erster Versuch mit Film so etwas Wichtiges
wie Angst auszudrücken. Man muß es als einen Debutfilm sehen: ich
sehe ihn als ersten Schritt in eine Richtung an, in der ich sehr gerne
weiterarbeiten werde." Und:
"Es werden so viele Filme gemacht, die überflüssig sind, die nur
bestätigen. Ich will gerne in Frage stellen, und ich fange damit an,
mich selbst in Frage zu stellen. So wird man wahnsinnig verletzbar
und dadurch unverletzbar..."
Ob er sich vorstellen könne, ein weiteres Filmprojekt zu machen, daß
ihn vielleicht nicht als Darsteller zeigt, sondern nur in der Funktion
des Regisseurs?
"Ja, ganz gewiß. Ich mußte bei "Ich lieb' Dich noch" alles machen, da
die ganze Sache ohnehin schon sehr teuer war, der ganze Film ist ja ohne
Subven-tionen gedreht worden. Jost Taverne, der eigentlich Arzt ist, hat
den Film produziert, hat so etwas - ebenso wie ich - zum ersten Mal gemacht.
Es ist eine sehr teure Filmschule gewesen. Was diesem Film fehlt ist die
Erfahrung, vom Ansatz her ist es eine sehr interessante Arbeit, denn unter
der Haut geschieht doch ziemlich viel; da werden kleine Dinge gesagt. Da
wird von meiner Erfahrung mit der Presse oder mit dem Theater erzählt,
all die kleinen Sachen.... Es ist nie laut, niemals entsteht dieses
furchtbare Fingerzeichen "guck'mal was ich kapiere..." Ich bin gespannt
wie ich das empfinde, wenn ich fünfundsechzig oder siebzig Jahre alt bin..."
Nun ist es momentan noch so, daß der Film nur in zwei Städten läuft, wie wird
das genau weitergehen? ,,Ich hab' keine Ahnung. Es war sehr, sehr, sehr
schwierig, den Film überhaupt in Deutschland herauszubringen, weil das
hier scheinbar eine Industrie ist, in die man kaum hineinkommt.Man muß
einen Namen haben. Wenn man zwischen Robert Redfort, Lebuch und Herman
van Veen wählen kann... das kann man vergessen. Absolut. Es ist sehr
schwierig. Und nur weil ein Mann wie Ottokar Runze, der den Film in
Holland gesehen hat und sehr begeistert war, nur weil er sich eingesetzt
hat, ist es überhaupt möglich, daß der Film in Deutschland herauskam.
Er sagte, das sei ein kleiner, aber wichtiger Film und hat sich unendlich
viel Mühe gegeben, die gesamte Synchronisation finanziert und gesagt: Ich
versuch das. Wir verdanken es ihm, daß der Film überhaupt herausgekommen
ist. Es ist ja bei allen Dingen, die wir tun, so, daß es Dinge sind, die
eigentlich nicht in das große Geschäft passen, die schon durch die
wahnsinnigen Kosten gar nicht möglich sind. Dieser Film zum Beispiel
ist ein Fragezeichen, aber ich glaube, daß das viele Menschen verstehen,
die wissen, wie es jetzt in der Welt aussieht."
Sind da Veränderungswünsche vorhanden, deren Erfüllung möglicherweise auch
der Film vorantreibt?
"Ich hoffe immer, daß es vielleicht bald so ist, daß die Leute anders denken,
als sie es heute noch tun, daß das Denken verändert. Daß das Denken anfängt
mit Fühlen und Empfinden, statt daß das reine Denken Priorität hat. Ich meine,
die Brücke zwischen Gedanken und Ge-fühlen ist so weit zerstört und dadurch ist
es möglich, daß die Welt aussieht, wie sie aussieht, mit dieser Rüstung, mit
dieser dritten und vierten und fünften Welt, das hat damit zu tun. Man muß nicht
mehr glauben, man muß denken" -im Film heißt es dazu: ,,Wo gedacht wird, können
keine Haare wachsen" - vielleicht kann der Film ein winziges Bißchen dazu beitragen,
denn auch das ist ja ein Thema des Filmes: Wenn ich glaube, daß etwas Ungünstiges
geschieht, dann passiert es, wenn ich nicht etwas unternehme. Und wenn ich etwas
unternehme gegen das, was ich denke, gegen
das, wovor ich Angst habe, dann kann ich daran etwas tun und habe mehr Kraft als
jeder Mensch glaubt."
"In deinem Film stellt dir der Freund, den du nach Hause
fährst, die Frage: "Glaubst du eigentlich an das, was du singst?" wie steht es
damit dir selbst, mit Herman van Veen?"
"Ja. Ich frage das auch in meinen
Vorstellungen:"Bist du, was du glaubst?" Ich bin, was ich glaube. Ich bin
ein Clown. Kein Politiker. Kein Militär. Ich bin ein Clown, das ist bewußt: das bin
Ein Clown ist friedlich. Ein Clown zeigt seine eigene Scheiße" - langes Schweigen -
"und die Leute lachen darum. Mit ihm."
Peter Gehrkens
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