Britta Probol von NDR Online: NDR Orchester und Chor schrieb 2006...


"Herman van Veen in Symphony": Hut ab!

"Herman van Veen in Symphony" - was mag einen da erwarten? Mozart und Brahms "vanveenisiert"? Nein: ein sinfonischer Liederabend der Superlative, und das nicht nur von den zeitlichen Dimensionen her. Nach einer beinahe dreistündigen Show hielt es niemanden auf den Stühlen, rund 1.800 Zuschauer feierten die Musiker mit frenetischem Beifall, und die dankten ihrerseits mit Zugaben. Erst nach sage und schreibe dreieinhalb Stunden großartiger Unterhaltung entließ der Entertainer sich selbst und sein Team in den Feierabend.


Bezaubernde Verwandlung gewohnter Melodien


Im ausverkauften Schuppen 52, einer fast hundert Jahre alte Backsteinhalle mit riesigen Schiebetoren in einem urwüchsigen Teil des Hamburger Freihafens, fand an Sonntag eine Premiere statt. Erik van der Wurff, Komponist und seit Studientagen van Veens Freund und Duo-Partner, hat Erfolge wie "Schulaufgaben", "Anders anders" und "Kyrie Eleison" erstmals für ein Sinfonieorchester arrangiert. Und damit ist ihm ein großer Wurf gelungen. Denn die eigentlich nur für wenige Instrumente konzipierten Songs machen sich in ihrem üppigen Gewand ganz ausgezeichnet. Niemals überladen, sondern wunderbar bereichert wirkten die Lieder in ihrer neuartigen Klangfarbenfülle, von poetisch-zart bis furios. "Guigui" etwa gewann mit dem Pomp eines Orchesters eine fast operhafte Dramatik.


Ein "großes Kind" macht die Bühne zum Spielzimmer


Apropos Oper. "Wie schön", sinnierte van Veen, "könnte die Oper sein, wenn es keine Sänger gäbe?" Seine musikalische Satire "Er hat sie ersto-ho-hooochen" gab der Entertainer hier nicht zum ersten Mal zum Besten, aber sie verfehlte auch an diesem Abend nicht ihre Wirkung auf die Lachmuskeln. Mit kleinen Kabarettstückchen wie diesem und hintersinnigen Späßken über Deutsche und Niederländer feuerte er die Stimmung im Saal an.
Überhaupt schonte van Veen weder Mensch noch Material. Er schüttete Pingpongbälle aus dem Zylinder, die in ihrem hüpfenden Stakkato gegen das Orchester anlärmten, traktierte van der Wurffs Piano mit dem Kopf (und umgekehrt), mit seinen Ellenbogen und selbst mit besockten Füßen, hämmerte auf dem Xylophon, dass die (Reis?-)Funken flogen, verteilte großzügig Flitter über die Musiker, vermummte seine Gitarristin Edith Leerkes mit einem roten Tuch - wer mit diesem über sechzigjährigen Clown auf Tournee geht, muss darauf gefasst sein, dass ein Tornado über die Bühne fegt. Immerhin konnte sich das Publikum zwischendurch bei ein paar klassischen Häppchen à la Mozart - dirigiert von van der Wurff - vom Lachen erholen.


Nachdenkliches aus dem Reich der Schatten


Doch auch die nachdenklichen Seiten des Lebens kamen nicht zu kurz. Kaum jemand gelingt es so gut wie van Veen, zwischen Witz und Melancholie die Balance zu halten. Er nahm selbst Themen wie Hunger, Alter und Tod aufs Korn, manchmal mit einer Prise schwarzem Humor und stets, ohne larmoyant oder belehrend zu wirken. Ein unbestrittener Höhepunkt: die Vertonung eines Gedichts der jungen Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger, die, gerade erst 18 Jahre alt, während des Krieges in einem ukrainischen Lager umkam. Ihre zarte Naturlyrik, vom NDR Pops Orchestra gefühlvoll untermalt, hat wohl jeden im Publikum ergriffen.


Fortsetzung folgt?


"Zwei Tage haben wir gemütlich zusammen geprobt", erzählte van Veen, mehr nicht - kaum zu glauben, denn die holländischen Gäste und das NDR Pops Orchestra wirkten wie ein längst eingeschworenes Team. Wer weiß, ob sie zueinander gefunden hätten, wären nicht die Niederlande in diesem Jahr Länderschwerpunkt beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Als die altgedienten und frischgebackenen van-Veen-Fans hinaus in die nach Pfeffer und Curry duftende Nacht strömten, hegten viele von ihnen vor allem einen Wunsch: dass diese glückliche Liaison fortgesetzt wird. Und vielleicht noch, dass Hamburgs ÖPNV und Taxifahrer die abgeschiedene neue Konzert-Location im Freihafen auch bald für sich entdecken.



Autor: Britta Probol, NDR Online